Freitag, 27. März 2015

Noch einmal die Medien

Ja, was in den Medien derzeit abläuft, stinkt zum Himmel. Keine Frage.

Und jetzt?

Ist das neu? Nein.

Hätte es im antiken Rom schon Bild, Tagesschau und Facebook gegeben, dann könnten wir uns heute noch an spannendem Archivmaterial über die damalige Unterhaltungsindustrie ergötzen:

- YouTube-Filme wie z.B. "Live: Löwe zerfleischt Christin - die Menge jubelt!".

- BILD kommtiert: "Gerechte Strafe für das Pack!"

- Vor dem Geschehen: RTL interviewt die Verurteilte. Fühlt sie sich ungerecht behandelt?

- Auf FACEBOOK debattieren Gegner und Befürworter des Ereignisses darüber, ob man dem Löwen den Stress vor einem so großen Publikum antun darf.

- Nach dem Geschehen: Bei MAISCHBERGER diskutieren die Experten über die Frage, ob die Frau geistig zurechnungsfähig war, und ob und wie sehr es sich strafmildernd auswirkt, auf diesen seltsamen Jesus zu hören.

Also kein Unterschied zu heute, abgesehen von den heutigen kommunikationstechnischen Möglichkeiten?

Wer damals den Voyeur spielen und innerhalb der Masse das menschliche Drama miterleben wollte, der musste vor Ort sein.
Wer das nicht wollte, der blieb zu Hause.

Heute hat der Voyeur eine zweite Möglichkeit: Er bleibt zu Hause, kann dort aber im stillen Kämmerlein und zugleich inmitten der Masse bei ein paar Crackern gemütlich dem Drama auf der Spur bleiben.

Das ist praktisch. Denn eigentlich will der Voyeur ja gar keiner sein. Also, jedenfalls nicht so, dass jemand weiß, dass er einer ist. Viel lieber würde er als moralischer Nicht-Voyeur gelten. Vom heimischen Sofa aus ist das einfach:

Zuerst informiert er sich ausgiebig über die letzten Entwicklungen im neuesten Drama, verfolgt die Spekulationen, wärmt sich am rührenden Beiwerk (es gibt IMMER rührendes Beiwerk), holt sich den wohligen Schauer darüber ab, selbst sicher und lebendig auf dem Sofa zu sitzen, und freut sich, jetzt allen anderen um 1-2 Informationen voraus zu sein. Diese lässt er anschließend in diversen Chats und Kommentarspalten einfließen, dem Stammtisch der Moderne.

Aber nun folgt der Hauptspaß!

Man kann heute Voyeur sein, und trotzdem als moralischer Mensch gelten! Alles, was es braucht, ist ein bisschen Heuchelei. Nachdem man also die "Menschen, Tiere, Sensationen!"-Mentalität der Medien nach Herzenslust ausgenutzt hat, gibt man sich in den "sozialen Medien" moralisch entrüstet und echauffiert sich über die Journaille, der nichts mehr heilig ist. "Schämt euch!" - "Ekelhaft!" - "Schamlos!" wirft man den Medien vor... während man gleichzeitig die neuesten Entwicklungen aus ihren Live-Tickern postet.

Bei den moralischen Voyeuren gibt es wiederum zwei Varianten:
Den Voyeur, der weiß, dass er heuchelt, und der es genießt.
Und die weitaus interessantere Spezies, mit der weit größeren Verbreitung:
Den Voyeur, der sich seiner eigenen Heuchelei nicht einmal bewusst ist, sondern der sich selbst als Autorität selbstgerechter Moralität versteht.

Am Ende finden beide Arten jedoch wieder zusammen:
Bei den Medien sind sie heißgeliebt, sorgen sie doch für Auflage, Quote, Clicks - und damit für Geld, Geld, Geld.

Steckt in uns allen nicht ein Stückchen Voyeur?

Machen wir die Medien nicht für unsere eigene Schwäche verantwortlich, den Knopf zum Aus- oder Umschalten nicht zu finden?

Das Problem beginnt bei uns. Nicht bei der sogenannten Journaille, der wir dienen, damit sie uns dienen möge.

Mittwoch, 25. März 2015

Medienschelte

Medienschelte ist opportun.
Medienschelte ist oft angebracht.
Medienschelte lässt uns besser aussehen.
Medienschelte - da simma dabei!

Ich bin auch oft "dabei". Und, wie ich finde, oft auch zu Recht. Aber gerade heute, einen Tag nach dem Absturz der Germanwings-Maschine, beobachte ich sie mit dem Gefühl einer Katze, die gegen den Strich gebürstet wird.

Gut. Wenn die Süddeutsche Zeitung sich über den Maischberger-Talk vom Vorabend echauffiert, der jeder noch so wilden Spekulation Raum gegeben habe, dabei aber selber einen Live-Ticker zur Katastrophe laufen lässt und soeben das Bild des demolierten Flugschreibers auf die Online-Titelseite gehievt hat, naja, dann lasse ich das mal unter "Ironie des Tages" und außer Konkurrenz mitlaufen.

Aber sonst geht online auch unter uns privaten Nachrichten-Endverbrauchern die Welle ab. Sei es in Kommentarspalten, sei es in Facebook-Postings, sei es in Blogbeiträgen; es ist überall der gleiche Tenor:

Die pösen, pösen Medien mit ihrer Sensationslust, die noch das kleinste Detail einer Katastrophe ausweiden, die sich auf die Angehörigen und Freunde der Opfer stürzen, die sich in wilden Spekulationen über den Auslöser der Tragödie ergehen, die sich fragen, was wohl den Opfern in ihren letzten Minuten durch den Kopf gegangen sein mag, und ob sie wohl ahnten, dass sie sterben würden, und... und... und...

...und all das müssen sie dann uns Zuschauern/Zuhörern/Lesern vorsetzen.

Und genau hier komme ich ins Grübeln.

WIR schauen hin. WIR schalten ein. WIR kaufen die Zeitung. Obwohl wir wissen, wie die Medien arbeiten.

Kann es nicht sein, dass wir uns aufregen WOLLEN, über die Medien?

Da kommentiert gerade jemand
"Das Ärgste sind die weinenden Gesichter der Angehörigen in Großaufnahme. So will sich niemand in der Zeitung sehen."
Sorry, aber das wüsste unser Jemand nicht, wenn er/sie nicht hingeschaut hätte. Oder?

Ist es nicht so, dass wir alle hier ein bisschen heuchlerisch vorgehen? Wir schauen hin, aber im Grunde wollen wir das gar nicht sehen - es sind nur die Medien Schuld, die uns ihren Thrash vorsetzen?

Setzen wir uns doch stattdessen einmal damit auseinander, was da in uns vorgeht, nachdem die Nachricht einer solchen Tragödie in den Alltag einbricht.

Erst mal der Schock. Was? Flugzeugabsturz? Und die Maschine war auf dem Weg nach Deutschland? Eine deutsche Fluglinie? Und die Leute teilweise hier aus der Umgegend? Nein!

Und genau dieses "Nein!" zeigt unser anfängliches Nicht-verstehen-können, unsere Unfähigkeit, eine solche Nachricht zu akzeptieren. Nicht hier! Nicht bei uns! Alle tot? Einfach so abgestürzt? Geht nicht!

Wir suchen Bestätigung "Ja, es ist tatsächlich passiert". Nachrichtensprecher, die vom Absturz berichten. Erste Fotos, und seien sie nur von einer anderen Maschine gleicher Bauart. Bilder und Worte, die uns klarmachen: Nein, es ist kein böser Traum.

Und dann wollen wir verstehen! (Und wie viel mehr noch wird es den Angehörigen der Opfer so gehen!) Wir können das nicht einfach so hinnehmen: Okay, der Flieger ist abgestürzt. Alle sind tot. Entsetzlich. Traurig. Schockierend. Und dann langsam damit beginnen, mit dem Unglück und seinen Folgen umzugehen. Nein! Um so fortzufahren, fehlt ein wichtiger Zwischenschritt:
"WIE konnte das passieren?

Und die Antwort hierauf erwarten wir uns von den Medien. Und weil wir eine Gesellschaft ohne Geduld geworden sind, erwarten wir sie sofort. Jetzt. Heute. Spätestens aber morgen.

Die Medien aber haben die Antwort nicht. Und werden sie vielleicht noch lange nicht haben. Was sollen sie also tun? Ihre Sendung beginnen mit den Worten:
"Wir haben zwar keine Ahnung, was passiert ist und können Ihnen heute auch überhaupt nichts neues sagen, aber bitte bleiben Sie dran!"
Seien wir realistisch: Wir würden schneller auf den nächsten Kanal schalten, als der Anchorman "Sch...!" sagen kann. Es geht um Quote, Quote, Quote - und nichts lässt die Quote besser steigen, als eine Katastrophe im eigenen Vorgarten, gemischt mit viel Herz und Schmerz und viel Gemenschel.

Die Medien verdienen dafür aber nicht alleine die Schelte. Wir sollten uns durchaus mal ans eigene Näslein packen (mich eingeschlossen).

Dienstag, 24. März 2015

An deutschen Kassen

Oder: WTF??!!

Gestern am späteren Nachmittag, an einer (der einzigen) Kasse, stehe ich da und warte, während die Kassendame ein Bündel 5-Euro-Scheine zählt. Sie schaut nur kurz zu mir hoch und sagt
"dauert'n Moment".

Okay, den Moment kann ich warten. Ich stehe also da und schaue zu, wie die Geldscheine mit Stirnrunzeln und höchster Aufmerksamkeit im Schneckentempo gezählt werden. Fast ist sie fertig, als sie von der anderen Seite durch eine Kundin mit
"Tschuldigung, ich hab' da mal 'ne Frage"
angesprochen wird.

"JETZT NICHT! Sie sehen doch, dass ich mich konzentrieren muss!"

Andere Kundin verlässt eingeschüchtert den Laden.

Ich stehe immer noch da und schaue. Auch die Kassendame schaut - auf das Geldbündel in ihrer Hand. Stirnrunzeln. Kopfschütteln. Sie zuckt die Achseln und... fängt das Zählen von vorne an:
"1, 2, 3, 4, 5....."

Ich zweifle inzwischen, dass die Kassendame es in der Schule über die zweite Klasse der Grundschule hinaus geschafft hat.

Nun ist sie fertig mit Zählen. Sie schiebt das Scheinebündel dem jungen Kollegen zu, der die ganze Zeit über neben ihr gestanden hat.
"Hier! Zähl' nach!"

Worauf sie das Bündel mit den 10-Euro-Scheinen aus der Kasse nimmt. Und zählt.

Ich schaue fasziniert. Als sie anschließend die 20-Euro-Scheine packt, wage ich einen Einwurf:
"Dauert's noch lange?"

"Sie sehen doch, dass wir Kassenübergabe machen! Dauert noch'n Moment!"

Ich sehe auf die restlichen Geldbündel. Auf die gut gefüllten Münzkästen. Auf den in ähnlicher Langsamkeit wie seine Kollegin zählenden Kassenbubi.

Loriot lebt.
Ich gehe.

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Heute Morgen. Eine andere (wieder die einzige) Kasse, diesmal im REWE. Nur ein Kunde vor mir; da wird mein Anschlusszug ja kein Problem sein. Okay, gut, der Kunde macht einen Großeinkauf, aber das geht ja fix, mit den Scannerkassen, und überhaupt.

"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst..." *flöt*

Der Großeinkaufkunde hat 20 Eierkartons gekauft, jeweils à 10 Stück. Gut, kann man machen. Muss man nicht, kann man aber. Ist ja auch schließlich vor Ostern.

Ich rolle genervt die Augen, als er alle 20 Kartons auf's Band stellt - herrjeh, ein Karton reicht doch, weiß der das denn nicht?!

Aber der Mann kennt offensichtlich seinen REWE besser als ich: Bei den Eierkartons angelangt, öffnet die Kassendame den ersten Karton. Sie wirft einen prüfenden Blick hinein. Sie schließt ihn wieder. Sie öffnet den zweiten Karton. Sie wirft einen prüfenden Blick hinein. Sie schließt ihn wieder. Sie öffnet....

Ich stehe da und schaue zu. Fasziniert. Der Anschlusszug ist vergessen. Bei Karton Nr. 5 frage ich
"Sie machen die jetzt ernsthaft alle einzeln auf?"

"Jaaaaa, muss ich."

"Und was erwarten Sie da zu finden? Außer Eiern, meine ich?"

"Ich muss das machen!"

"Ja. Okay. Aber warum?"

"Weil wir das so müssen."

Okay, ja dann... Wie man so schön sagt, am Niederrhein:
"Wat mutt, dat mutt."

Aber gut, dass sie nicht auch noch den Eierinhalt....................

Loriot lebt.

Dienstag, 10. März 2015

"Ein Kommunionkleid kaufen? Jetzt?"

Letztens schaute eine Freundin im "Feine Kleidung für jede Gelegenheit"-Laden vorbei, weil sie meinte, es sei jetzt aber doch langsam Zeit, sich für die Tochter nach einem netten Kleid zur im Mai anstehenden Erstkommunion umzusehen.

Die Reaktion der Verkäuferin waren ein äußerst mitleidiger Blick und die Aussage:
"Ein Kommunionkleid? Jetzt? Aber die verkaufen wir doch schon seit September!"
Es waren tatsächlich nur noch wenige Kleider verfügbar, so dass besagte Freundin Mann und Tochter per Handy zum sofortigen Kleidernotkauf zu sich zitierte.

Zur Beruhigung: Es wurde noch ein Kleid sichergestellt und gekauft. Ob meine Freundin bis zur Ankunft von Mann und Tochter in Chuck-Norris-Manier vor dem Kleiderständer Aufstellung genommen hat, bereit, sich weiteren kleiderkaufwütigen Erstkommunikantinnenmüttern mit einigen beherzten Karateschlägen und -tritten in den Weg zu werfen, oder ob der Kauf unblutig ablief - ich gestehe: ich habe vergessen, danach zu fragen.

Aber wie kommt man nur auf die Idee, erst zwei Monate vor der Erstkommunion der Tochter an den Kleiderkauf zu denken?

Sicher, sicher, sie war natürlich sehr beschäftigt, z.B. damit, einen Kommunionkinder-Wochenendausflug zu planen und zu begleiten, um den Kindern dabei nahezubringen, was es denn mit einer Erstkommunion überhaupt so auf sich hat.

Aber darf man sich denn wirklich durch so ein unwichtiges Gedöns wie "Kommunionvorbereitung" den Blick auf das einzig Wichtige nehmen lassen - auf das Aufhübschen des Kindes, damit es auf alle Fälle von allen Mädchen das schönste Kleid und die perfekteste Frisur hat?

Ehrlich mal - das wäre ja... also, das wäre ja so, als würden wir uns im Advent besinnlich auf Weihnachten vorbereiten, statt hektisch durch die Läden zu laufen und Geschenke und Lebkuchen und Zimtsterne und Marzipankartoffeln zu kaufen.

(Ist es eigentlich ein Zufall, dass der Weihnachtssüßkram und die Erstkommunionkleider gleichzeitig im September in die Läden kommen? Ich wittere eine Verschwörung!)

Ich glaube, meine Freundin ist doch sehr naiv. Ich muss mal ernsthaft mit ihr reden.

Mittwoch, 4. März 2015

Reiseerinnerungen II



Frage: Was ist Globalisierung?
Antwort: Wenn du in Südafrika deine Maestro-Card in den Geldautomaten steckst und das Ding anschließend Deutsch mit dir spricht.
Den Schrecken muss man erst mal wegstecken.

Ja, und damit wäre ich dann wohl bei dem, was mir noch zu meiner viel zu kurzen Zeit in Südafrika einfällt.

Widerspruch Südafrika

Es ist ja ganz seltsam, wie leicht man in diesem Land einen völlig falschen Eindruck von fast allem erhält. Ich war ja nun nicht als Hotel-Tourist ins Land gekommen, sondern war von einer Freundin eingeladen worden, während dieser Zeit bei ihr zu wohnen. Wir haben viele Ausflüge in alle möglichen Ecken des Landes gemacht, aber von Pretoria selbst habe ich in den ersten Tagen nur die verschiedenen Vororte und Außenbezirke kennengelernt.

Um gleich mit dem ersten Vorurteil aufzuräumen: Nein, in diesen Vororten mit ihren wachdienst-, mauer- und elektrozaungeschützten Wohnanlagen wohnen keineswegs die Superreichen (die wohnen wiederum ganz woanders), sondern hier lebt die Mittelschicht, Schwarz und Weiß, wobei Weiß derzeit noch den weit größeren Anteil stellt, aber das wird sich in den kommenden Jahren sicherlich weiter verschieben. Aber diese Außenbezirke der Großstadt Pretoria - die sind nun so ganz und gar nicht afrikanisch. Man mag sich eher an die Schweiz erinnert fühlen: Alles sauber, alles so hübsch aufgeräumt, die Gärten gepflegt, die Straßen gereinigt, 2x in der Woche kommt die Müllabfuhr... Aber dann machten wir zum Glück doch noch eine kleine Tour in die City, um die Union Buildings und das dort neu errichtete Denkmal für Nelson Mandela zu besichtigen. Und mir wurde klar, weshalb die Firmen seit Jahren scharenweise mit ihren Büros in die Außenbezirke ziehen, und weshalb sich das gesamte Leben der Mittelschicht ebenfalls nur dort abspielt. Denn plötzlich waren sie da, die schmutzigen Slums, und die gefährlichen Viertel - und mittendrin einige Top Hotels. Wie bitte? Innenstadt? Regierungsgebäude? Slums? Top Hotels? Ja, ja... das ist schon alles recht widersprüchlich.

Der Tourist, der seine Südafrikareise mit einem Besuch in Pretoria beginnen oder enden lassen möchte, wird wohl so denken, wie es für seine westlichen Gewohnheiten normal ist: Die City einer Großstadt ist der "place to go". Dort pulsiert das Leben, dort sind die teuersten Hotels, dort muss man hin. Und ich denke mir, aus genau diesem Grunde gibt es in der City, am Fuße der Union Buildings, tatsächlich einige Top Hotels. Aber viel mehr als ein Besuch dieser beiden Sehenswürdigkeiten erwartet den Touristen dort nicht. Wenn er nach einer oder zwei Nächten weiterzieht, wird er von den südafrikanischen Großstädten die Erkenntnis mit nach Hause nehmen "nichts als Schmutz, Abfall in den Straßen, Kriminalität - typisch Afrika!".

So wie ich also erst nur die "suburbs" (die Vororte) kennenlernte, die der Tourist ohne "Familienanschluss" nie zu sehen bekommen wird, und mir dachte, DAMIT das Gesicht einer südafrikanischen Großstadt zu kennen, so lernen die Hoteltouristen ausschließlich die City kennen - und glauben damit ebenfalls, das Gesicht einer südafrikanischen Großstadt zu kennen.

Der Vorort IST die City

"Also, mir würde das ja schon fehlen", sagte ich einmal zu meiner Freundin, "wenn ich nicht mal in die City zum Shoppen könnte, und um mich mit Freundinnen zu einem Kaffee zu treffen."
"Aber das können wir doch - wir gehen dazu eben in die Shopping Mall, oder ins Café in der Nähe."

Ja, so ist das: Der Vorort IST in Südafrika die City. Dort wohnt man, dort arbeitet man, dort trifft man sich in der Mall zum Shoppen und zu einer Verabredung, dort joggt man, dort führt man den Hund aus. Niemand, wirklich niemand, käme auf die Idee, in die City zu fahren. Meine Freundin war vor unserem gemeinsamen Besuch seit Jahren nicht mehr dort gewesen.

Würde mir dabei etwas fehlen? Ja. Zum Beispiel die Möglichkeit, einfach mal aus dem Haus heraus und in den Straßen spazierenzugehen. Das tut man dort nicht. Weil es auch zu gefährlich wäre, denke ich. Und weil man es eben nicht gewöhnt ist. Und trotz der wirklich schönen Shopping Malls - mir würde doch der Spaziergang durch unsere Innenstadt fehlen, so von Geschäft zu Geschäft, und an der frischen Luft statt in wohltemperierter Mall-Klimasphäre. Aber wenn man das so gar nicht erst kennt, kann es einem natürlich auch nicht fehlen.

Schwarz und Weiß

Ja, und wie ist das nun mit Schwarz und Weiß, so knapp 20 Jahre nach Beendigung der Apartheid? Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Wenn überhaupt, kann ich nur ganz subjektiv und aus meinen paar kleinen Erfahrungen "urteilen".

Ganz lebendig im Hinterkopf ist mir dabei immer noch die Begegnung mit einem Kellner im Restaurant einer Shopping Mall. Und auch, wenn ich davon ja schon kurz in meinen "Notizzetteln" berichtet hatte, hier noch mal:

Bei der Kaffeebestellung fragte er mich, ob ich Zucker und Milch wolle. Nein, vielen Dank, sagte ich. Ah, meinte er, dann könne ich ja bei der nächsten Tasse einfach sagen "just like Alex". Und auf das große Fragezeichen hin, das sich darauf wohl über meinem Kopf zeigte, wies er lachend auf sein Namensschild. Darauf stand "Alex". Und er sagte "You see? Black - just like Alex.". Ich sollte also meinen nächsten Kaffee schwarz bestellen - schwarz wie Alex.

Okay, soviel politische Unkorrektheit in den Mund zu nehmen - dafür würde ich wohl längere Übung brauchen, ehe es knotenfrei über meine Zunge käme, als die knapp zwei Wochen, die ich in Südafrika war. Aber ich fand diesen völlig unkomplizierten Umgang mit einer Hautfarbe sehr erfrischend - und vielleicht auch hoffnungsvoll? Ich weiß es nicht. Jedenfalls sah ich ich in den Läden ebenso wie in Cafés und Restaurants zwar viele Gruppen, die *hüstel* sagen wir mal... farblich unter sich blieben, aber gerade bei den Jüngeren waren doch auch einige "gemischte Grüppchen" darunter.

In Bezug auf die Apartheid-Ära sollte man sich vielleicht ein wenig in der Überheblichkeit zurücknehmen. Klar war die Einführung der Apartheidpolitik in den 1940er eine tragische Entscheidung, die ebenso klar zu verurteilen war und ist. Aber was sagt uns denn z.B. Wikipedia über die Rolle unser eigenen Regierung und Wirtschaft, oder jener der USA? Sie sagt uns eigentlich, dass sich bestimmte Dinge wohl nie verändern werden:

"Einige Länder unterstützten das Apartheidregime in bestimmten Teilbereichen. Beispielsweise setzten die USA 21 Mal im Sicherheitsrat ihr Veto ein, um Resolutionen gegen Südafrika zu verhindern, die zumeist eine totale Wirtschaftsblockade gegen das Land zum Inhalt hatten, das waren 13 Prozent der Gesamtanzahl ihrer Vetos. Allerdings waren die USA aber auch die treibende Kraft hinter der Verabschiedung des ersten Waffenembargos gegen Südafrika durch die UN im Jahr 1963. Auch Firmen wie IBM haben mit logistischen und technologischen Mitteln das Regime unterstützt. Die Bedeutung Südafrikas für die USA lag unter anderem in den Uranvorkommen des Landes.
[...]
Einer der führenden deutschen Politiker, der durch seine Nähe zur südafrikanischen Regierung in der Zeit der Apartheid auffiel, war Franz-Josef Strauß. Er befürwortete die Apartheid und soll bei einem Besuch in Südafrika gesagt haben: „Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten. Es ist deshalb falsch, von der Unterdrückung der Nicht-Weißen durch eine weiße Herrenrasse zu sprechen.“
[...]
Eine Studie von 1999 kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland mit 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors der wichtigste Direktfinanzier des Apartheidregimes war und „[…] in herausragender Weise den Apartheidstaat direkt, ebenso wie die strategisch wichtigen Staatskonzerne der Apartheid mit Finanzkapital bedient hat“
Alles wie heute eben. Oder wie sonst wäre es zu erklären, dass sich gerade eine deutsche Delegation aus Wirtschaftsminister und Wirtschaftsbossen auf den Weg nach Saudi Arabien macht, um dort neue Geschäfte an Land zu ziehen - während gleichzeitig, und auch nicht erst seit gestern, die Menschenrechte dort mit Füßen getreten und mit Stöcken zu Tode geschlagen werden?

Religionen

Okay, seit Tagen beiße ich mir auf die Zunge, aber nun schreibe ich es eben doch: Herrlich erfrischend fand ich, dass mir in den fast zwei Wochen nur insgesamt 3 Kopftücher begegnet sind, und eine Vollverschleierte, die allerdings wirklich von ALLEN angestarrt wurde - Indiz dafür, dass solch ein Anblick zumindest in Südafrika noch nicht zum Straßenbild gehört. Über meine Frage, wieso es denn hier so wenig Muslime zu geben schien, musste meine Freundin etwas nachdenken - die Frage musste ich ihr übrigens erst einmal erklären, indem ich ihr das heutzutage in Westeuropa gängige Straßenbild schilderte - und dann meinte sie, dass es vielleicht daran läge, dass Südafrika wirklich durch und durch christlich wäre?

Interessanter Gedanke. Das hieße dann, dass die Muslime - und unter ihnen vor allem die der radikalen Sorte - im entchristianisierten Europa sozusagen die Leere auffüllen, die ein seit Jahrzehnten anhaltender Glaubensverlust innerhalb unserer Kirchen hinterlassen hat?

Kirchen gibt es in Südafrika tatsächlich in rauhen Mengen. An jeder Ecke, an jeder Straße, mitten im Nirgendwo - und viele betreiben intelligente Werbung. Eine ist mir in Erinnerung geblieben: Da stand ein Schild an der Straße, auf dem in Großbuchstaben stand
CH__CH
What's missing here?
U R!
Tatsächlich ist die Gemeindeanbindung dort anders, enger als bei uns - es ist völlig normal, dass jedes Gemeindemitglied einmal pro Monat (natürlich auf Verabredung) von Leuten seiner Kirche besucht wird. Nein, nicht nur die älteren Leute, und nicht nur zum runden Geburtstag, sondern jede und jeder.

Aber vielleicht ist Südafrika ja in 20 Jahren ein einig Land an Buddhisten. Sieht man sich die schon heute gigantischen Ausmaße des noch weiter wachsenden Areals um den Nan Hua Tempel an, des größten buddhistischen Tempels in ganz Afrika, und macht man sich klar, welch immensen wirtschaftlichen Einfluss China auf Südafrika (und den restlichen Kontinent) nimmt, dann ist dieser Gedanke alles andere als abwegig.

Armut

Sind wir da tatsächlich so weit auseinander, Deutschland und Südafrika? Ja, natürlich sind wir das. Es ist einfach eine Frage, die auftaucht, beim Anblick der Bettler in den Straßen. Wenn ich hier unsere Hindenburgstraße vom Bahnhof bis zum Alten Markt hochgehe, dann sitzt inzwischen vor jedem 5. oder 6. Ladenlokal ein Bettler. Mal ganz abgesehen von jenen, die den ganzen Tag damit zu verbringen scheinen, diese Straße hinauf und hinunter zu laufen und dabei die Passanten um ein "bisschen Kleingeld für einen Obdachlosen" zu bitten. Vom reinen Bild her ist das tatsächlich mit Südafrika vergleichbar. Nur, dass die Bettler dort mitten auf der Straße stehen, bevorzugt an Straßenkreuzungen und Ampeln, also dort, wo die Autofahrer anhalten müssen und man sie, zwischen den Autoreihen hindurchgehend, um ein "bisschen Kleingeld für einen Obdachlosen" anbetteln kann. Der Unterschied ist natürlich die schiere Zahl der Menschen, die in Armut leben.

Meistens bekommen sie nichts, die Bettler auf den Straßen Südafrikas. Die Leute in ihren Autos schauen durch sie hindurch. Sie gehören an den Kreuzungen halt zum Straßenbild - man nimmt sie nicht wirklich wahr, und die Unterhaltung unterbricht man wegen ihnen auch nicht. Bin ich zu Hause anders? Nein, bin ich nicht. Weil es eben unmöglich ist, beim Anblick jedes Bettlers in Mitleid zu zerfließen, und weil es auch einfach technisch nicht machbar ist, jedem von ihnen etwas zu geben.

Nur eine Begegnung geht mir nach. Da stand dieses weiße Mädchen mitten auf der Straße, höchstens 15 oder 16 Jahre alt, halbwegs sauber gekleidet und ordentlich gekämmt, und bettelte. Sie war schwanger.

Was wird aus so einem Mädchen? Und aus dem Kind?

Back to the 1960s

In Südafrika gibt es ihn noch - den Service am Kunden. Natürlich, weil es dort Kleinstjobber gibt, deren Arbeitsplätze hierzulande durch Mindestlohnregelung, Versicherungspflicht, Abgabenpflicht etc. etc. etc. längst ausgestorben sind. Ich sage nicht, dass dies für uns hier falsch ist, aber dort erhält es viele Menschen am Leben, UND es sorgt bei einigen auch für die nötige finanzielle Starthilfe, mit der ein Weiterkommen möglich ist. Als Kunde jedenfalls kann man sich an die Annehmlichkeiten aus der Vergangenheit schnell gewöhnen:

Im Supermarkt die Einkaufstüten nicht selber einpacken zu müssen.
Ladenlokale, in denen es vor lauter hilfsbereiten Verkäufern nur so wimmelt.
Wagenwäsche im Parkhaus, während man die Einkäufe erledigt.
Tankwarte, die nicht nur das Auto betanken, sondern auch den Reifendruck prüfen und die Frontscheibe wienern, während der Fahrer bequem im Auto sitzen bleibt.
Die "Zugehfrau", die 2x wöchentlich das Haus aufräumt, putzt und die Bügelwäsche erledigt.

Ja, doch, man gewöhnt sich recht schnell an solche Dinge.

ESKOM

Der nationale Energieversorger. Zuverlässig wie die Deutsche Bahn. Und ebenso fachkompentent. "load shedding" nennt man es, was ESKOM seit einigen Jahren unter den Südafrikanern so beliebt macht wie die Blattern. Da erhält jeder Haushalt eine Liste, die ihm sagt, an welchen Wochentagen und zu welchen Zeiten in seinem Stadtteil der Strom für wie viele Stunden abgeschaltet wird. Natürlich hält sich ESKOM nie an seine Listen. Man kommt eben einfach nach Hause - und der Strom ist weg. Kein Kaffee. Kein Licht. Keine heiße Dusche. Kein warmes Abendessen. Kein TV. Kein Internet. Warum? Weil ESKOM es nicht schafft, das gesamte Land dauerhaft und flächendeckend mit Strom zu versorgen. Weil es im Sommer zu heiß ist, und im Winter zu kalt, und wenn es regnet, dann wird die Kohle nass (kein Scherz!).

Man trägt es mehr oder weniger gelassen.

Nkandla

245 Millionen Rand für eine riesige ummauerte, hochsicherheitsgeschützte Luxuswohnstatt, die sich Präsident Zuma hat bauen lassen. Woher er dieses Geld hatte? Er hatte es ja gar nicht. Aber der Steuerzahler, der hatte es. Die Wellen schlagen hoch, und in den politischen Debatten setzt es Prügel. Man verlangt von Zuma eine Antwort, wann er dem Steuerzahler sein Geld zurückzahlen will. Doch Zuma lebt im Wolkenkuckucksheim und kommt nur noch selten an die Öffentlichkeit - und wenn, dann nur, um eine vorbereitete (von wem? - so fragen sich viele) Rede abzugeben.

Aber wie zieht man dem Steuerzahler denn nur SO viel Geld aus der Tasche?

E-Toll

Als ich die ersten dieser Metallgerüste sah, welche die gesamte Breite eines südafrikanischen Highways überspannen, dachte ich noch an Stauhinweistafeln, oder Baustellen... Aber es ist das erst im Dezember 2013 eingeführte elektronische Mautsystem: Jedes Fahrzeug wird hier beim Passieren elektronisch erfasst, und die Rechnung kommt monatlich mit der Post. Wer also beruflich täglich auf Südafrikas Straßen unterwegs ist, für den wird es richtig teuer. Und ein Umfahren über Landstraßen ist dort nicht so wirklich *hüstel* eine Möglichkeit.

Natürlich gibt es auch jede Menge anderer Toll-Stations, an denen sich teils lange Autoschlangen bilden, und an denen die Maut in bar kassiert wird. Der einzelne Betrag ist gering. Da könnte man denken "ist doch alles nicht so schlimm". Rechnet man aber mal hoch, wie oft man solche Toll-Stations passieren muss, und das dann an jedem Tag der Woche, dann kommt man schon auf "interessante" Beträge.

Zum Schluss

Ja, das waren nun so einige Fakten, aus der Erinnerung niedergeschrieben.  Klingt alles sehr sachlich. Da möchte man fast fragen: Aber wie hat dir denn nun die Reise gefallen? War es ein schöner Urlaub? Mochtest du Land und Leute?

Nein, es war kein schöner Urlaub. Es war ein wunderschöner und unvergleichlicher Urlaub.

Nein, ich mag Land und Leute nicht. Ich liebe Land und Leute.

Ich kann mich nur bedanken für all die Zeit und den Aufwand und die Arbeit, den "gewisse Leute" (die Angesprochene wird wissen, wen ich meine) in die Vorbereitung und die Planung und die Umsetzung gesteckt haben, nur, um mir den Aufenthalt schön zu machen und dafür zu sorgen, dass ich möglichst viel sehe und erlebe während meiner Zeit in Südafrika. Es war eine unvergessliche Zeit. .... und so ganz nebenbei .... ich vermisse das südafrikanische Wetter ... an 34 Grad konnte ich sehr viel rascher gewöhnen, als an unser deutsches Sauwetter. :-D









Dienstag, 3. März 2015

Fotos Teil 7 - und Ende


Ja, das ist auch Südafrika:


In Maropeng, dem Official Visitor Centre für das gesamte große Gebiet der "Cradle of Humankind":

(Bin ich der einzige, der sich an das Innere des Raumschiffs Orion erinnert fühlt?)









 

Und rund um Maropeng gibt es wieder mal so ein bisschen Aussicht:






Noch ein wenig Pflanzenwelt:












Auf der Rosenfarm:






Afrikanische Stillleben: 






Fast schon wieder zu Hause - Flughafen Zürich:

Fotos Teil 5


Hier ein Besuch hinauf zu den Union Buildings, mitsamt der kürzlich aufgestellten überlebensgroßen Statue Nelson Mandelas:





Ach ja, es gibt da noch eine kleine Geschichte vom einem Hasen in Mandelas Ohr, den die Künstler dort heimlich eingearbeitet hatten, aus Grell darüber, dass sie ihr Werk nicht signieren durften. Leider hatten die Oberen aber keinerlei Humor und der Hase musste später wieder entfernt werden. Mandela hätte es sicher witzig gefunden.


Ein Besuch beim, im und auf dem Voortrekker Monument:















Dies sind Fotos, die vom "Dach" des Voortrekker Monuments aufgenommen wurden. Hier sieht man einen Teil der Universität Südafrikas: