Samstag, 10. März 2018

Sprache - rechtsfrei

Heute benutzte ich das Wort "Antifanten". Ich wurde gerügt. Ob ich wisse, dass dieser Ausdruck von der AfD genutzt werde.

Ich verteidigte mich. Denn das Wort ist viel älter als die AfD. Tatsächlich erinnere ich mich an Leute aus Antifa-Kreisen, die so relaxed waren, dass sie sich selbst so bezeichneten. (Ja, liebe Kinder, solche Zeiten gab es.)

Doch ich ging in mich, und ich erkannte:

Das Vokabular von Rechts musste verpönt und gemieden werden. Meine Sprache sollte rechtsfrei werden.

Also studierte ich die Reden und Schriften von Rechts und suchte nach einem Weg, rechte Wortvorlieben zu erkennen.

Ich entschied, es müsse eine gewisse Regelmäßigkeit erkennbar sein. Nur, weil ein AfD'ler ein einziges Mal das Wort "Ficki-Ficki-Anleitungs-TV" in den Mund genommen hatte, hieß das noch nicht, dass "Ficki-Ficki" ein rechtes Alleinstellungsmerkmal war.

Ich stellte dagegen eine große Regelmäßigkeit im Gebrauch des Wortes "Freunde" fest: Ich hatte mein erstes rechtes Wort gefunden.

Nun, meine lieben mir nahestenden Menschen, der Anfang war gemacht und ich fühlte mich gleich ein wenig unrechter.

Dann war da "Deutschland" - ein Wort, das in fast jedem zweiten oder dritten Satz vorkam. Ha! Der nächste Fund.

Und dann ging es Schlag auf Schlag: "Staat" "Regierung" "Land" "Volk" "Zukunft" "Kinder" "Frauen" "Männer" - rechts! rechts! rechts!

Allerdings fand ich noch einige andere, kleine und bisher auf arglistige Weise harmlos dahergekommene Wörter, die in rechter Rede jedoch in fast keinem Satz zu fehlen schienen und so ihre Bösartigkeit offenbarten:

"ich" "wir" "nein" "und"

Das rechte "und" stellte mich vor Probleme. Wie sollte man dieses Wörtchen meiden, das sich auf so teuflische Weise als scheinbar unersetzbar in unsere arglose Sprache eingeschlichen hatte? Doch wie einfach war die Lösung: Es war durch ein "+" zu ersetzten.

Kurz stutzte meiner Einer: Eröffneten unsereiner damit nicht gleich das nächste, diesmal christliche Fass? Mitnichten, entschied meiner Einer; das Kreuz des "+" müssen unsereiner auf uns nehmen.

Ja, nun ist sie rechtsfrei, meine Sprache, + meiner Einer kann erhobenen Hauptes durch die Straßen dieses durch Grenzen definierte Teilstück eines Kontinents gehen + sich dabei mit jenen aufrechten Menschen beiderlei Geschlechts vereint wissen, denen darum zu tun ist, die kleinen Menschen in einer Zeit jenseits der Gegenwart vor Rechts zu schützen.

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Ja, liebe Kämpfer gegen Rechts - ihr habt durchaus meine Sympathie, und ganz sicher unterstelle ich euch die allerbesten Motive. Nur behaltet bitte eines im Auge: Auch der Kampf gegen die französische Ständeherrschaft begann mit den allerbesten Motiven - und dann errichteten die Jakobiner die Guillotinen, und der Absolutismus des Adels wurde ersetzt durch den Absolutismus der Selbstgerechtigkeit.
 


Der Duft der Bücher

"Die Nase ins Buch stecken", so sagt man, wenn ein Mensch liest.

Aber steckt ihr manchmal auch so richtig, also ganz wörtlich, die Nase in ein Buch?

Gestern Abend hatte ich mir den Stapel noch ungelesener Bücher vom Regal geholt, um zu entscheiden, welches mich am nächsten Morgen als Lektüre zum Friseur begleiten würde. Und dabei ertappte ich mich, wie ich nicht nur die Innenseiten der Schutzumschläge las, sondern auch in jedes Buch die Nase steckte und tief einatmete.

Dabei fiel mir ein, dass ich diesen "Tick" von meiner Mutter geerbt hatte. Ich erinnerte mich, wie sie mir irgendwann vor vielen Jahren erzählte, so habe sie schon als Kind jedes neue Buch beim ersten Aufschlagen erkundet.

Ich liebe gute und ausgefallene Parfums und habe eine ganze Sammlung davon. Aber zum ersten Mal in ein neues Buch hineinzuschnuppern - das ist ungeschlagen das beste Parfum der Welt!

Und alle duften anders - je nachdem, ob es sich um einen Krimi, um eine Liebesgeschichte oder um einen Bildband von Rom handelt..... Gut, in Wirklichkeit sind es natürlich Papier, Druckerfarbe, Verarbeitung usw., die für die unterschiedlichen Buchdüfte verantwortlich sind. Aber man weiß ja nie, wie viel Einfluss der geistige Inhalt eines Buches auf die feine Nase einer Leseratte nimmt, nicht wahr?

Ein ganz besonderes Erlebnis stellt natürlich das aufwendig gearbeitete Buch dar - womöglich in Leder oder Leinen gefasst, mit Fadenbindung und gutem, festen Papier. Das ist nicht nur ein Duft- sondern auch ein haptisches Erlebnis. Solch ein Buch möchte man streicheln und ihm zuflüstern
"Erzähl' mir eine Geschichte!"
Eine andere, ganz besondere Spezies sind die alten, schon vielfach gelesenen Bücher. Im Gegensatz zu neuen Büchern sind sie Geschichte umrankt von Geschichten:

Lieblingsstellen mit Eselsohren markiert. Oder hier, der zerrissene Einband - Krallenspuren eines längst verstorbenen Missetäters. Kaffeeflecken, oder war das noch während meiner Teephase? Die paar alten Bücher aus der Sammlung meines Großvaters, ein ganz besonderer Schatz. Und natürlich die auf Antiquariaten gekauften Schätzchen, manchmal mit Widmungen von Fremden für Fremde, winzige Einblicke in die Leben einer anderen Zeit.

Ein wenig traurig beende ich diesen Blogbeitrag, weil ich mich frage, wie viele - oder wenige - der heutigen Kinder und Jugendlichen noch erfahren dürfen, wie viel mehr ein altmodisches Buch zu geben hat, als ihnen ebooks jemals werden bieten können.

Sonntag, 4. März 2018

Bitte nicht stören!

Stört ihr euch an den vielen Bettlern in unseren Städten?

Nein, wahrscheinlich nicht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass sie vor den Läden sitzen, in Hauseingängen, vor und in den Bahnhöfen.

Gelegentlich werfen wir eine Euromünze in den Becher, den einer von ihnen vor sich aufgestellt hat und gehen dann schnell weiter. Fühlen wir uns gut dabei?

Mehr wollen wir mit "denen" jedenfalls nicht zu tun haben. Also gehen wir vorüber, blicken stur geradeaus oder zur anderen Straßenseite.

Und dann kommen wir doch ins Gespräch - so wie damals an einem Heiligabend in der Bahnhofshalle (siehe Blogbeitrag) oder vor wenigen Wochen mit einer Bettlerin in Rom. Und wir stellen fest: Es gibt kein "die" und "wir", denn da, uns gegenüber, steht einfach nur: Ein Mensch. So wie ich einer bin.

Ist das der Grund für unser meist blindes und schnelles Vorübergehen?

Sind sie uns Erinnerung, wie schmal und seicht der Graben geworden ist, der heute uns Normalbürger vom Almosenempfänger trennt?

Vielleicht tragen wir deshalb alle einen unsichtbaren Schild vor uns uns her, auf dem steht:
"Bitte nicht stören!"
Ob wir es schaffen können, uns gelegentlich doch einmal in unserer ohnehin nicht vorhandenen Sicherheit stören zu lassen?

Nur auf ein Wort? Ein Lächeln?