Samstag, 23. April 2016

Erdogan und die Knickeier

"Richtig Eier haben" - das bedeutet nicht etwa, die nötigen Zutaten für ein gutes Omelett zu besitzen, sondern es will sagen, dass da jemand ist, dem es nicht an Selbstvertrauen fehlt. Die deutsche Politik hat im Hinblick auf Erdogan auch Eier gezeigt. Knickeier.

Als im Fall Böhmermann (sein Vortrag des "Schmähgedichts" ist übrigens online derzeit noch hier abrufbar)  über die Anwendung eines Uralt-Pagagraphen entschieden wurde, war ich  sicher: Damit kommt der Typ vom Bosporus hier in Deutschland nicht durch. Er hat seine private Strafanzeige gestellt. Das darf er. Und gut is. Weit gefehlt - die deutsche Gerichtsbarkeit wurde ermächtigt, den Paragraphen aus der Kaiserzeit zur Anwendung zu bringen; einen Paragraphen, von dem gleichzeitig gesagt wird, man wolle ihn baldmöglichst wegen "Entbehrlichkeit" abschaffen. Nun ja, wer Logik sucht, sollte bei der Mathematik bleiben und sich nicht mit Politik beschäftigen.

Ein Politiker der Piratenpartei hat übrigens heute vor der türkischen Botschaft für Presse- und Meinungsfreiheit demonstriert und dabei eine Passage von Böhmermanns Gedicht zitiert. Die Demonstration wurde aufgelöst, gegen den Politiker Strafanzeige erstattet. Unter dem gleichen, wegen Entbehrlichkeit abzuschaffenden Paragraphen der Majestätsbeleidigung. ( Quelle )

Vorausgegangen war Böhmermanns Gedicht übrigens ein Lied mit dem Titel "Erdowie, Erdowo, Erdogan", das ich hier verlinke. (Wenn man sich schon beim türkischen Maharadscha und seinen willigen deutschen Gefolgsleuten unbeliebt macht, dann richtig, daher möchte ich hier nichts auslassen.)

Na gut, man hatte Erdogan also ein wenig Zucker in den Arsch geblasen (im übertragenen Wortsinne natürlich nur; ich möchte ja niemanden beleidigen), und nun sind wir wenigstens alle wieder Freunde, und die Flüchtlinge haben wir auch vom Hals. Vielleicht war das die Sache ja wert? Und vielleicht würde Erdogan ja den Wert einer funktionierenden Demokratie einschließlich Presse- und Redefreiheit aufgrund engerer Zusammenarbeit mit Deutschland doch endlich noch annehmen und gutheißen?

Nun, zuerst einmal lernt Deutschland von Erdogan:

Ein ARD-Korrespondent wird bei der Einreise in die Türkei aus "Sicherheitsgründen" festgesetzt und anschließend wieder nach Ägypten zurückgeschickt, woher er gekommen war. ( Quelle )

Das kann man verstehen. Wenn man im eigenen Land eine so gute Presse hat wie Erdogan, möchte man unliebsame ausländische Schreiberlinge lieber fernhalten. Gute Presse? Erdogan? Aber ja: die "schlechte" Presse sitzt inzwischen entweder im Knast oder ist zu eingeschüchtert, noch groß das Maul aufzumachen. Wer doch demonstriert und protestiert, wird durch leichte - oder auch stärkere - Schläge auf den Hinterkopf zur (Staats-)Räson gebracht.

Aber auf der anderen Seite ist es trotzdem unverständlich, was man sich da geleistet hat. Einen DEUTSCHEN Journalisten an der Einreise hindern! Warum? Der türkische Maulkorb sitzt doch bereits perfekt; da ist doch nichts mehr zu befürchten.

Ein Verlag bringt ein Buch heraus. Mit dem Titel "Emanzipation im Islam". Ein Gericht beschließt, das Buch dürfe nur mit geschwärzten Textpassagen herausgegeben werden. ( Quelle ) Es ist Erdogans Anwalt, der zusammen mit der unter Islamismusverdacht stehenden Organisation Milli Görüs vor einem deutschen Gericht gegen einen deutschen Verlag die Buchschwärzung bei einer deutschen Autorin (mit marokkanischen Wurzeln) durchsetzt. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen.

Jetzt gerade will Erdogan im Ego-Wahn ein Projekt der deutschen Sinfoniker stoppen. Weil die das Thema des Völkermordes an den Armeniern thematisieren. Das darf man nicht. Heute jedenfalls nicht mehr. Weil Erdogan das nicht schön findet. Das sagt er auch der EU. Weil die den Desdnern den Geldhahn zudrehen soll. ( Quelle )

Zusammen mit der Aufgabe unserer Presse- und Redefreiheit opfern wir - also, nicht nur wir Deutschen, sondern die ganze EU, wobei, wenn es ans Zahlen geht... okay, ich korrigiere mich: wir Deutschen opfern Erdogan also abseits unserer Presse- und Redefreiheit auch noch einige Milliärdchen Euros. Allerdings sei das Geld nicht für die Türkei bestimmt, belehrt man uns, sondern es werde der Türkei nur zur Verfügung gestellt. Für die Flüchtlingshilfe eben. Jene Flüchtlinge, die wir hier nicht mehr haben wollen. Wenigstens gut soll es ihnen ja gehen, in der Türkei. Darum hat unsere Kanzlerin heute auch ein solches Flüchtlingscamp besucht. Ich bin sicher, dass der besenreine Zustand des Vorzeigecamps symptomatisch dafür ist, wie es den Flüchtlingen heute in der Türkei ergeht.

Nicht.

Ich darf einmal hinweisen auf einen Artikel mit dem vielsagenden Titel
Dieses Elend bleibt Merkel verborgen - Zweifel an Verwendung der EU-Milliarden in der Türkei ( Quelle )
Es werden die Zustände in- und außerhalb der anderen Camps geschildert. Zu den EU-Milliarden heißt es:
Und werden die sechs Milliarden Euro aus Europa an der Situation dieser Menschen etwas ändern? Die Syrer in der Gruppe wollen sich nicht festlegen, umso entschlossener sind die Türken in der Gruppe. "Die Regierung wird das Geld dafür verwenden, die eigenen Gefolgsleute zu beschenken", sagen sie. "Ein Unternehmer wird den Auftrag bekommen, ein Camp für diese Menschen zu errichten, ein anderer wird eine Straße dahin bauen, alles im Namen der Flüchtlingshilfe." [...]
Was denkt er darüber, ob die Milliardenhilfe aus Europa den Flüchtlingen zugutekommen wird? "Ich will das nicht ausschließen. Aber dieser Staat hat es in über zwei Jahren nur einmal geschafft, an diese Menschen ein paar Kilo Kartoffeln und Mehl zu verteilen – und das nur, weil Unternehmer in Torbali Druck ausgeübt und die Lieferung spendiert haben", antwortet Kacmaz. "Und im letzten Winter haben die Behörden Holzkohle verteilt, obwohl ihnen alle gesagt haben, dass es lebensgefährlich ist, wenn diese Leute in ihren Zelten Holzkohle verbrennen. Die Säcke mit Kohle stapeln sich noch überall." [...]
Was die Gelder aus Europa anbetrifft, ist er sicher: "Wenn die Behörden und lokale Verwaltung sich mit zivilen Hilfsorganisationen, Bürgerinitiativen, Unternehmerverbänden, Berufskammern und so weiter zusammensetzen würden, könnten alle zusammen überlegen, was gebraucht wird. Aber wenn das alles vom Zentralstaat entschieden wird, dann werden von diesem Geld viele Leute profitieren, aber am wenigsten die Flüchtlinge."
Tja, und angesichts all dessen wundert man sich nun:
Was zum Teufel ist eigentlich mit unserer Regierung los?
Da haben wir nun, so denke ich, mehrere Antwortmöglichkeiten:

a) Dummheit

Das würde dann bedeuten:
Unsere Politiker sind schlicht dumm und bemerken nicht, wie sehr Erdogan im Ego-Wahn sie austrickst. Und sie sind zudem blind genug, nicht die verheerende Außenwirkung zu sehen (auch und vor allem in der Türkei selbst), die ein solches staatliches Einknicken vor einem Prügelpotentaten hat.

Ich halte unsere Politiker nicht für dumm. Okay, Ausnahmen gibt es immer. Aber in der Regel... nö.

b) Machtliebe

Das hieße:
Unsere Politiker kleben derart an ihren Machtpöstchen, dass sie alles tun, um ihr Volk bis zu den nächsten Wahlen bei Laune zu halten - und wenn das nur über Erdogan machbar ist, der Deutschland die Flüchtlinge vom Hals zu halten versprochen hat, nun ja, so sei es.

Eine gewisse Liebe zur Macht - und deren Erhalt - darf man einem Politiker generell wohl unterstellen. Sonst wäre er nicht in der Politik aufgestiegen, sondern säße im Vorstand von VW.... äh... nein, das ist eine andere Geschichte. Aber ich verweise auf a) : Unsere Politik ist nicht dumm. Dass ein derartiger Serien-Kotau, wie man ihn jetzt vor Erdogan erlebt, auch massig Stimmen im Wählervolk kosten wird, wird ihnen bewusst sein. Ein Nicht- Einknicken vor Erdogan hätte da bedeutend weniger Stimmen gekostet.

c) Erdogan hat unsere Regierung wesentlich weitgehender in der Tasche, als wir es uns derzeit vorstellen können.

Und DAS ist ein Denkansatz, der mir seit einigen Tagen erhebliche Sorgen bereitet.

Wann wird der erste Blog geschlossen?





1 Kommentar:

  1. Als ob das alles nicht längst genügt, was hier alles so präzise aufgelistet ist,las ich dazu bei Focus online eben noch Folgendes: "Sprachrohr für Erdogan: In deutschen Moscheen predigen derzeit rund 970 Imame, die von der türkischen Religionsbehörde entsandt worden sind. Ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland liege in der Regel bei fünf Jahren."
    Mut machen kann da eigentlich nur das biblische Wort: "Wenn dies alles geschieht, erhebt euer Haupt!" Bei allem Erschrecken über so viel Katzbuckeln und Unterwerfung: Heike wird es gewiss selbst dann noch tun, wenn ihr Blog geschlossen würde.Möge ihr Beispiel ansteckend wirken.

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