Donnerstag, 28. Mai 2015

Bravo! Du Idiot!

Der Mensch in seinem unreflektierten Egoismus ist ein Volltrottel. Man kann es nicht anders, und auch nicht netter sagen.

Da waren wir nun gestern, auf dem Petersplatz. Eine Menschenmenge, die zur jeden Mittwoch stattfindenden Generalaudienz des Papstes erschienen war und nun auf den vielen Stuhlreihen Platz genommen hatte, die auf dem Petersplatz aufgestellt worden waren. So weit, so gut.

Als der Papst erschien, war es jedoch mit der Vernunft vieler Besucher vorbei: Da wurde hemmungslos auf die Stühle geklettert, um nur ja den besten Blick zu haben.

"Ich zuerst!", brüllt der Instinkt.

Was wurde damit erreicht?

Die kleineren der Stühlesteher sahen trotzdem nur die Rücken der Größeren. Ältere, Behinderte und sonstwie Schwächere (und jene mit besserem Benehmen, nebenbei) waren auf ihren Stühlen nur noch von Beinen und Hintern umgeben. Zurufe und Bitten, sich zu setzen, wurden ignoriert oder mit einem Achselzucken bedacht.

Während vorher also der Ausblick für ausnahmslos alle frei war, stand er nun nur noch einem kleinen Anteil der Anwesenden zur Verfügung.

Als die Audienz begann, hatten die anwesenden Italiener genug: Die freundlichen Bitten wurden zu bösen Zurufen und Knuffen gegen die Stehaufmännchen. Nach und nach setzte man/frau sich wieder hin, und jeder/jede wurde mit einem ironischen "Bravo!" oder "Brava!" honoriert, sehr oft gefolgt von einem deutlich vernehmbaren "Idiota!"

Passt das nicht hervorragend in das Bild, das unsere Welt heute bietet?

Der Blick ist so sehr auf das eigene Ich gerichtet, dass danach erstmal eine ganze Weile gar nichts mehr kommt. Doch letztendlich verdirbt dieser Egoismus uns allen das Leben, auch dem "Idiota" selbst.

Wie viel schöner, harmonischer, bereichernder wäre der gestrige "Event" gewesen, wenn jeder aus Rücksicht auf den anderen gehandelt hätte? Ja, auch für den Egoisten selber.

Mir ging das heute nicht aus dem Kopf, und das hat einen Grund:

Während letztes Jahr hier in Rom noch die Regen-/Sonnenschirme (je nach Wetterlage) und Sonnenhüte von den die Straßen abklappernden fliegenden Händlern angeboten wurden, so treiben mich heute hunderte dieser Händler in den Wahnsinn, die mir an jeder Ecke ihr  "Handyarmverlängerungsgedöne" vor die Nase halten und dabei gebetsmühlenartig "Selfie, Selfie!" rufen.

Irgendwann war ich einem hysterischen Anfall nahe. Nein, verdammt nochmal, ich will nicht selfiemachend durch Rom laufen!

Aber auf der anderen Seite kann man es ihnen nicht verübeln, denn sie haben einen  Markt entdeckt, und es ist weiß Gott kein kleiner.

Wohin man schaut: Selfie-Handyhalter. Ich habe Leute gesehen, die ihr Handy am Stock vor sich her haltend durch die Straßen Roms liefen, wie man dem Esel die Karotte vor die Nase hält, damit er weiterläuft, der Karotte hinterher, die er doch nie erreichen wird. Ein guter Vergleich, wie mir gerade auffällt.

Selfies am laufenden Band. Ich vor dem Kolosseum. Ich auf dem Petersplatz. Ich als Film-Selfie, wie ich durch die Gassen Roms laufe. Ich. Ich. Ich. Ein Foto ist nur noch etwas wert, wenn auch meine Nase mit drauf ist.

Und was hat er nun von seinem Egotrip, unser Esel hinter der Karotte?

Einen Riesenhaufen Fotos von bekannten Sehenswürdigkeiten, alle mehr oder weniger verdeckt von der eigenen Nase. Fotos, die keinen seiner Freunde interessieren. Weil sie selber ja nicht darauf zu sehen sind. Und weil unser kleiner Esel sich bis heute darum drückt, die Selfieparade besagter Freunde zu bewundern. Weil er ja nicht mit darauf zu sehen ist.

Egoismus verdirbt vielen alles mögliche.

Aber den Egoisten macht es menschlich und gefühlsmäßig arm. Und einsam.

5 Kommentare:

  1. Als ich im Herbst in Rom war, wurden auch schon Selfiestangen feilgeboten; da riefen die Verkäufer aber noch -- ebenfalls gebetsmühlenartig --: "Very nice, very useful!"

    Wahrscheinlich konnten sie mit dieser Lüge nicht länger leben. :-)

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  2. Als jemand der kürzlich in Rom war und davor in Venedig und der schon in Versuchung war einem Selfiestick-Händler einen abzukaufen um ihn ihm (dabei kann der arme Teufel ja nichts dafür) danach an eine unangenehme, dunkle Stelle zu rammen: Danke!
    Ich bin jedenfallls sicher auf keinem Bild, das ich gemacht habe, drauf, allenfalls meine Gattin.

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    1. Danke, lange nicht so gelacht wie über diesen Kommentar.

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  3. Sehr schöner, weil sehr treffender Beitrag. Aber das mit der Rücksicht können Sie in unserer Gesellschaft m.E. endgültig knicken.

    Als jemand, der seit einem Jahr eine Gehbehinderung hat und sich oftmals mühsam seines Weges entlang schleppt, kann ich sagen: Rücksicht muss immer der Behinderte üben. Um den Radfahrern - teils auch Moped(?? m.E. eigentlich was größeres, aber die korrekte Bezeichnung für die Dinger kenn ich nicht und interessiert mich auch nicht)fahrern - auf dem Bürgersteig rücksichtsvoll Platz zu machen. Oder den Fussgängern, die einem ins Handy starrend entgegenkommen, Platz zu machen... Jedenfalls hat der mit Behinderung Rücksicht zu nehmen und seine Mitmenschen mit seiner Behinderung nicht zu belästigen (und im Wege zu stehen).

    Diese seltsamen Selfiestöcke habe ich zum Glück erst vereinzelt gesehen. Aber Sie haben Recht: das wird uns vermutlich demnächst auch überrollen. Wie schön! Ich fand's in der Vergangenheit schon immer toll, wenn Regenwetter war, weil von vielen die Regenschirme ja eher FAKTISCH die Funktion von Schlagstöcken hatten. (Ganz beliebt: einfach mal plötzlich schwungvoll den Schirm einsetzten, um auf irgendwas rechts oder links neben einem zu zeigen. Egal, ob man sich in einem Fussgängerstrom befindet - der Stock erwischt einen ja nicht selbst...) Jetzt wird man also auch bei gutem Wetter mit Schlagstöcken traktiert werden.

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