Montag, 12. Januar 2015

Wer muss man heute sein? oder: "Was ist Wahrheit?"

Nun ist das Jahr noch keine zwei Wochen alt und stöhnt doch schon unter einer Last bedrückender Ereignisse, die wenig Gutes für seine Zukunft hoffen lassen.

Seit der letzten Woche überschlagen sich die Medien ebenso wie die Blogger; alle paar Minuten ein neuer Beitrag, die Geschehnisse in Paris im "Live-Ticker", als wär's ein Fußballspiel ("Erna, komm' gucken, die stürmen gerade - und bring' ne Pulle Bier mit!").

Jeder hat eine Meinung - und keine Scheu, sie kundzutun.

Daran allein ist ja nichts auszusetzen. Problematisch wird es immer dann, wenn die eigene Meinung absolut gesetzt wird. Diese Einstellung verschließt Augen und Ohren und verführt dazu, blind und taub auf jedes Gegenüber einzuschlagen, das eine falsche (weil nicht mit der eigenen konformgehende) Meinung vertritt.

Im Netz und in diversen TV-Debatten wird daher seit letzter Woche konsequent zum fröhlichen Halali geblasen. Schauen wir mal, was da so los ist:
"Je suis Charlie" - ich bin Charlie. Wer das heute nicht postet oder zumindest "liked", der ist gegen Meinungs- und Pressefreiheit und damit ein ganz böser Gesell. Also: Ich BIN Charlie?
"Je suis Charlie" - ich bin Charlie. Wer das heute postet oder auch nur "liked", der findet es ja wohl in Ordnung, wenn Religionen durch teils widerliche Karikaturen in den Schmutz gezogen werden. Man kann die Verbrechen in Paris auch verurteilen, ohne Charlie zu sein. Also: Ich bin NICHT Charlie?
"Je suis Charlie" - ich bin Charlie. Wer das heute postet oder "liked", der hat ja wohl vergessen, dass bei den Pariser Anschlägen auch Polizisten und Juden getötet wurden. Also: Ich bin nicht nur Charlie, ich bin auch Polizist, und Jude?
Ach herrjeh, das ist ganz schön verwirrend, und man kann schon mal den Überblick verlieren, wer und was man denn nun gerade sein sollte. Im Grunde aber haben wir hier ein leuchtendes Beispiel für die alte Spruchweisheit: "Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.

Dabei habe ich mir das harmloseste Beispiel herausgepickt. Es geht ja auch anders zur Sache:
"Wer jetzt nicht die Muslime auffordert, sich klar und deutlich vom islamistischen Terror zu distanzieren, der ist ein linker Gutmensch, der immer noch an 'Sonne, Mond und Sterne'-MultiKulti glaubt."
"Wer jetzt die Muslime auffordert, sich klar und deutlich vom islamistischen Terror zu distanzieren, der ist ein islamophober Rassist und Pegida-Mitläufer." Das böse "N-Wort" steht ebenfalls im Raum, und durchaus nicht immer unausgesprochen.
"Wer jetzt als Christ die Muslime auffordert, sich klar und deutlich vom islamistischen Terror zu distanzieren, der sage dreimal schnell hintereinander 'Hexenverfolgung-Kreuzzüge-Missbrauchsvorwürfe' und schweige danach für immer."
Oder auch so:
"Es ist ganz klar, dass der Islam eine Religion des Hasses ist, die Gewalt und Intoleranz hervorruft und diese weltweit verbreitet."
"Es ist ganz klar, dass der Islam eine Religion des Friedens ist. Islamismus hat nichts mit dem Islam zu tun."
"Es ist ganz klar, dass der Islam eine Religion ist, während die Islamisten überhaupt nur politische Zwecke verfolgen und die Religion hierfür nur vorschieben."
Ich verfolge diese Diskussionen und ertappe mich immer öfter bei dem Wunsch, jeweils die Frage nach Passierschein A38 zu stellen. Unsere ganze Welt scheint zum Haus geworden zu sein, das Verrückte macht.

Pilatus war ja nun nicht gerade der netteste Charakter, aber ich wünschte mir, wir alle würden an uns öfters einmal seine berühmte Frage stellen:
"Was ist Wahrheit?"
Vielleicht ist es ein Problem der Interpunktion: Weniger Punkt und Ausrufungszeichen, und stattdessen mehr Fragezeichen zu verwenden, wären ein Anfang.

Abschließend möchte ich mir aber nicht verkneifen, ausgerechnet mit einer Karikatur hinzuweisen auf die geschätzt 2.000 Toten, brutal ermordet von der Boko Haram in Nigeria, die leider, leider nicht die gleiche "Publicity" erhalten wie die Ermordeten von Paris:







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