Sonntag, 6. August 2017

Albanien - die Fortsetzung

Heute also die Fortsetzung zu meinem Reisebericht aus Albanien, dessen Anfang ihr

HIER

findet.

Ich werde jetzt von Erinnerung zu Erinnerung springen, hoffentlich habt ihr ein wenig Spaß daran.

Als wir in Patok ankamen, hielt neben uns ein Auto. Es hatte ein Berliner Kennzeichen. Schwer zu sagen, welche Seite überraschter war - wir über das Berliner Auto, oder die "Berliner", als Ihnen von uns auf Deutsch geantwortet wurde. Es waren Albaner, die schon vor Jahren nach Deutschland gezogen waren und nun die "alte Heimat" besuchten.

Der "Brain-Drain" ist ein großes Problem des Landes. Zudem ist es ja schon der zweite Verlust der Bildungsschicht, den das Land innerhalb weniger Jahrzehnte erlebt: Das erste Ausbluten fand natürlich in der Diktatur statt - und das Wort "Ausbluten" ist hier leider in seiner ganzen Schrecklichkeit wörtlich zu verstehen.

Es gibt so viel Hoffnung in eine Aufnahme in die EU! Klar, machen wir uns nichts vor: Die Regierungskreise sehen hier sicher vor allem wirtschaftliche Vorteile. Ich glaube aber, das einfache Volk wünscht sich nichts mehr, als endlich dazuzugehören, nicht länger der Außenseiter Europas zu sein, der von allem abgeschnitten ist, wie es Hoxha so viele Jahrzehnte seinem Land verordnet hat.

Mehr zu Patok in meinem vorigen Beitrag und unter den Fotos, die ich noch separat einstellen werde.

Es gibt wilde Hunde in Albanien. Verwilderte Tiere, die sich zu kleinen Rudeln zusammengeschlossen haben und lange Zeit vor allem außerhalb der Städte eine echte Gefahr waren. Ich habe unterwegs noch einige der elenden Gestalten gesehen. Auch in den Städten, sogar in der Hauptstadt Tirana, sieht man sie überall. Dort sehen sie besser genährt und teils fast gepflegt aus. Manche sind sogar so zutraulich und hübsch, dass man sie einfach mit nach Hause nehmen möchte.

Mir gefällt der Weg, wie man heute dieser Plage Herr werden will (früher wurden sie einfach erschossen): Alle wilden Hunde werden eingefangen, kastriert/sterilisiert, gechipt, um sie entsprechend auszuweisen, und dann wieder freigelassen. So werden die wilden Hunde in den nächsten Jahren schlicht aussterben. Für ein so armes Land wie Albanien ist das eine enorme, auch finanzielle Anstrengung, und es sagt etwas über die Menschen aus, dass man die Tiere, die ja nichts für ihr Schicksal können, nicht mehr einfach tötet. Jedenfalls ist es mir allemal sympatischer als das, was im bei uns Deutschen so geliebten Urlaubsland Spanien vor sich geht, wo bis heute unschuldige Stiere bis aufs Blut gereizt und gequält werden, um zuletzt unter dem Jubel der Menge von einem Macho in bunter Fantasieuniform und zu engen Hosen getötet zu werden.

Oh, einmal ein Tipp für jene, die Albanien mit dem Auto erfahren möchten: Bitte vorher nachfragen, welche Tankstellen unbedingt zu meiden sind! Es gibt bestimmte Ketten, an denen der Sprit besonders billig ist. Das ist so, weil man hier das Benzin mit Wasser vermischt. Ich habe mir sagen lassen, so ein Automotor mag das GAR nicht. :-)

Wer nach Albanien kommt, sollte Kruja nicht auslassen. Hoch im Gebirge gelegen, bieten sich wundervolle Ausblicke über das Land, der Besuch der Skanderbeg Festung und des Museums sind Pflicht, und der Gang durch die Altstadt ist ein Erlebnis - wer hier keine Reiseandenken findet, dem ist schlicht nicht zu helfen.

Ein weiterer Tipp: unbedingt festes Schuhwerk anziehen.

Skanderbeg ist der Nationalheld Albaniens. Er war es, der im 15. Jahrhundert die verschiedenen Stämme vereinte und so bis zu seinem Tod die Türken von Albanien fernhielt. Tatsächlich gibt es die These, dass die folgende Belagerung Wiens nur zurückgeschlagen werden konnte, weil die türkischen Truppen vorher durch die Rückschläge in Albanien entsprechend geschwächt waren.

Tja, Österreich und dem Rest von Westeuropa kam es zugute, während Albanien nach Skanderbegs Tod für 500 Jahre unter ottomanischer Fuchtel stand.

Das Gros der Albaner ist also irgendwie muslimisch. Irgendwie? Naja, ich habe mir sagen lassen, und es auch erlebt, dass den meisten Albanern die Religion - jede Religion - herzlich einerlei ist. Eine Religion wird mehr als Abstammung erlebt, so wie wir vielleicht sagen würden "Der Großteil meiner Familie stammt aus dem Rheinland.".

Wir saßen abends zusammen beim Essen, während in unserer Nähe auf Knopfdruck der Muezzinruf über der Stadt erscholl - und niemand kümmerte sich darum. Auch die Zahl der Kopftücher ist in Deutschland weitaus größer, zumindest in den Regionen, die ich kennengelernt habe. Im "Hinterland" mag es anders sein, das weiß ich nicht.

Sorgen macht mir der Zugriff Erdogans auf das Land. In Tirana wird gerade mitten im Zentrum eine Großmoschee gebaut, im Stil der Blauen Moschee. Finanziert aus der Türkei. Die Albaner hätten sich einen anderen Baustil gewünscht, aber wer zahlt, bestimmt. Zu befürchten ist, dass Erdogan mehr als nur ein Bauwerk nach Albanien zu importieren gedenkt. Schon jetzt fiel mir die hohe Zahl der Kopftücher und sogar Verschleierter im Umfeld des Moscheebaus auf. Einer Kirche in direkter Nähe zu einer Moschee wurden kürzlich die Fenster eingeworfen.

(Ich weiß, jetzt werden mir einige vorwerfen etwas gegen Erdogan zu haben. Aber das ist ok. Denn sie haben ja Recht.)

Die Widersprüche des Landes sind bizarr. Im Stadtkern Tiranas findet man in einem kleinen Park ein  modernes Gebäude mit Cafés und Restaurants und der Aussicht auf eine große Springbrunnenanlage. Als wir später von den Toiletten zurückkamen, fragte ich meine Freundin vorsichtig, ob ich den Anschlag an der Innenseite der Kabine wirklich richtig verstanden hatte. Oh ja, das Gebäude habe leider ein so schlechtes Abflussystem, dass man das benutzte Toilettenpapier im Eimer  NEBEN der Toilette entsorgen musste. Das erklärte dann auch, weshalb gleich mehrere Reinigungskräfte vor "Ort" waren.

Man findet ein brandneues, riesiges Einkaufscenter, das in jeder westeuropäischen Stadt stehen könnte, mit schönen Straßencafés und Andenkenläden ringsherum. Wenige Straßen weiter dagegen Ladenstraßen mit Verkaufsständen aus alten Vorhängen und Gardinen wie auf einem afrikanischen Basar.

Als wir durch die Orte fuhren, fielen mir die unzähligen Geschäfte auf, die ausschließlich Hochzeitskleider verkauften, eines prächtiger als das andere. Ich erfuhr, dass die Tradition verlangt, dass eine Braut 3 (drei!) Hochzeitskleider benötigt: Eines für die Hochzeitszeremonie selbst, eines für die Feier mit der eigenen Familie, und eines für die Feier mit der Familie des Bräutigams. Es ist gerade diese Tradition, die das Heiraten oft genug verhindert, weil vielen hierfür einfach das Geld fehlt. Deshalb verloben sich viele junge Paare, ziehen als Verlobte zusammen - und vergessen die Hochzeit dann sozusagen einfach. Leider geraten viele junge Frauen durch solche "Verlobungen" auch in den schrecklichen Kreislauf des Menschenhandels: Außerhalb der weltoffeneren Städte verlobt sich eine junge Frau nicht, sondern sie WIRD verlobt. Der "Bräutigam" nimmt seine Verlobte mit sich, mit dem Versprechen auf spätere Heirat, die Eltern glauben ihre Tochter "gut versorgt" - und kurz darauf schafft eine weitere Prostituierte für ihren Zuhälter an.

Überhaupt, die Traditionen - das Thema "Blutrache" scheint ja aus einem Roman als längst vergangenen Zeiten zu stammen. In Wahrheit war sie in Albanien bis in die 1970er Jahre hinein auf dem Land gang und gäbe - und offensichtlich gibt es sie bis heute. Was ist das überhaupt - "Blutrache"? Es bedeutet, dass Familien teils seit Generationen miteinander "im Blut" leben, also ihre jeweiligen Söhne sich - übrigens nach einem strengen Verhaltenskodex - gegenseitig umzubringen haben, um so immer weiter und weiter die jeweiligen Morde der anderen zu rächen.

Wer sich für das Thema näher interessiert: Es gibt einen albanischen Autor - Ismail Kadare, übrigens Gewinner einiger ausländischer Buchpreise und immer wieder einmal im Gespräch für den Literaturnobelpreis - der hierzu ein großartiges Buch geschrieben hat, das auch auf Deutsch erschienen ist: "Der zerrissene April". Leseempfehlung!

So, damit soll es gut sein. Nur noch soviel: Albanien ist eine Reise wert. Und außerdem: Wenn ihr einmal vor Ort eure Euros in Albanische LEK umgetauscht habt, werdet ihr euch aufgrund der vielen 2.000er und 5.000er-Scheine in eurem Portemonnaie unglaublich reich fühlen. :-) Die Umrechnung ist recht einfach: Versetzt einfach das Komma um zwei Stellen nach links und zieht dann noch einmal 30% ab - dann habt ihr den ungefähren Euro-Wert des Betrages, den ihr in LEK zahlen sollt.

Fotos folgen im nächsten Beitrag.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen