Freitag, 3. Juni 2016

Hornstein./.Rehder, die Flüchtlingsfrage, und eine unerwartete Verteidigung.

Im April wurde unter dem Oberbegriff
Wie viele Migranten verträgt das Land?
ein Contra von Felix Hornstein zum Helfen ohne Wenn und Aber veröffentlicht. Man kann es hier nachlesen.

Vieles von dem, was ich las, hielt einem genaueren Nachdenken meiner Meinung nach nicht stand. Also war ich gespannt auf das für den Mai angekündigte Pro, welches von Stefan Rehder vorgelegt wurde. Man kann es hier nachlesen.


Ich war enttäuscht. Man mag mit Herrn Hornstein nicht einer Meinung sein, aber er hat sich ernsthaft, überlegt, sachlich und auf gutem Niveau mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich erwarte von einer Gegenrede, dass ein solches Niveau eingehalten wird. Und so finde ich mich - völlig unerwartet - dazu aufgefordert, ausgerechnet den zu verteidigen, den ich eigentlich widerlegt sehen wollte. Nicht, weil ich nun doch seiner Meinung wäre, sondern weil mich der Stil ärgert, wie diese "widerlegt" werden soll.

Schon gleich die ersten Sätze machen unwillig: Kein Katholik, dem an Orthodoxie und Orthopraxie seines Glaubens auch nur irgendetwas liegt, könne Hornsteins Standpunkt teilen. Damit spricht Rehder gleich zu Beginn jedem das wahre Katholischsein ab, der nicht wie er Hornsteins Ansichten rundheraus ablehnt.

Nun ja, es ist beliebte Praxis geworden, sich gegenseitig das Katholischsein abzusprechen. Allerdings eher in emotional aufgeladenen Internetforen, und weniger in einer sachlichen Gegenrede, publiziert in einem angesehenen Magazin.

Ärgerlich finde ich auch wiederholte Wendungen à la "Herr Hornstein, den wir uns als aufrechten mit lauteren Absichten vorstellen" oder "einen aufrechten Mann wie Herrn Hornstein, dem wir – das wiederholen wir gerne – nur die besten Absichten unterstellen". Es muss klar sein - sicher auch für Rehder - dass solche Einschübe dem Leser unterschwellig den Zweifel an genau diesen Aussagen über Hornstein vermitteln. Im besten Falle jedoch sind sie herablassend.

Es wird ferner behauptet, Hornstein missioniere "uns", bestimmte Dinge anzunehmen. Auch das ist herablassend, wenn auch diesmal dem Leser gegenüber, dem nicht zugetraut wird, einen Standpunkt zu überdenken und eventuell als falsch oder zumindest teilweise falsch einzuschätzen.

Hornstein würde behaupten, nur der lebe die christliche Nächstenliebe recht, "der sie kühl abwägend, kalkuliert und vernünftlerlisch lebe".

Erstens entnehme ich das Hornsteins Essay absolut nicht. Zweitens sehe ich keinen Grund zu der unterschwelligen Behauptung, der christliche Glaube sei mit Vernunft nicht in Einklang zu bringen.

"Vernünftlerisch"! Rehder ist geradezu verliebt in seine Wortschöpfung. So sehr, dass er sie in einem einzigen Absatz gleich 6x wiederholt. Und dann dieser Satz:
"Denn das Vernünftlerische durchtränkt seinen gesamten Text derart, dass man beim Umblättern einer jeden Seite fürchtet, es müsse augenblicklich aus dieser heraustreten und sich auf einen legen."
Großes Kino!

Wenn allerdings Rehder den nächsten Abschnitt mit
"Da wir es nun einmal unternommen haben, öffentlich mit Herrn Hornstein zu streiten..."
beginnt, gibt mir sein "wir" doch etwas zu denken: Ist das nun tatsächlich ein Pluralis Majestatis, oder nur die Annahme, seiner gesamte Leserschaft sei wie ihm an einem öffentlichen Streit mit Hornstein gelegen?

Die Ansichten und Vorschläge Hornsteins nennt er einen kalten, tödlichen Eisberg, und er fragt, was denn der sich unter der Wasseroberfläche verbergende Großteil dieses Eisberges ausmacht.

Eine interessante Frage. Ja, ernsthaft. Allerdings lässt die Einleitung der Antwort kein gutes Gefühl bei mir aufkommen:
"Die Antwort ist einfach."
Das ist sie selten. Und wenn sie als solche bezeichnet wird, schon einmal gleich gar nicht. 
"Bei dem gewaltigen Berg, der sich unter der Wasseroberfläche verbirgt, handelt es sich um die weitverbreitete Ansicht, es müsse möglich sein, die christliche Nächstenliebe so zu leben, dass sie einen selbst keine Opfer koste oder zumindest keine, die diesen Namen tatsächlich verdienen.Das aber ist – mit Verlaub gesagt – Unsinn."
Damit hat Rehder vollkommen recht. Eine solche Nächstenliebe ohne Opfer ist Unsinn. Unsinn ist aber auch, Hornstein eine solche Aussage zu unterstellen. Und: "weitverbreitet"? Wirklich? Dass wahre Nächstenliebe oft nicht mehr gelebt wird, darin stimme ich zu. Aber wir sollten Ursache und Wirkung erwägen:

Wird Nächstenliebe nicht vielleicht nur deshalb immer seltener gelebt, eben weil wir uns bewusst sind, dass sie uns Opfer abverlangt? Opfer, die zu geben wir nicht bereit sind?

Rehder führt dies im Folgenden noch detailliert aus. Ich übergehe das hier, denn es läuft im Grundzug auf die obige Unterscheidung hinaus: Während nach Rehders Meinung heute die Einsicht fehlt, dass Nächstenliebe nicht ohne Opfer gelebt werden kann, sehe ich im Gegensatz zu ihm gerade diese Einsicht als den Grund an, weshalb Nächstenliebe nicht mehr gelebt werden will.

Das nächste Ärgernis - und es ist ein großes - in Rehders Gegenrede ist dieses:
"Wir wissen nicht, wie Herr Hornstein seinen Glauben praktiziert. Und es geht uns auch nichts an. Das kann und soll Herrn Hornsteins private Angelegenheit bleiben. Eine, die er nur mit Gott, seinem Gewissen und seinem Beichtvater zu verhandeln braucht."
Ich fühle mich erinnert an die uralte Werbung für eine Schmerztablette, die immer diesen Satz enthielt:
"Wir wissen nicht, was dieser freundliche Tankwart empfiehlt - Bei Kopfschmerzen empfehlen WIR: ..."
Der "Tankwart" war austauschbar; es konnte auch ein Gärtner sein, oder die Parfumverkäuferin. Impliziert wurde immer:
"Wir wissen nicht, was dieser Mensch empfiehlt, der ja weder Doktor noch Apotheker ist, aber WIR von der Pharmaindustrie, WIR empfehlen..."
Ungefähr so wird es wohl Rehder auch gemeint haben, und der Seitenhieb auf den Beichtvater ist in diesem Zusammenhang schon - entschuldigung - verdammt starker Tobak!

Ich will Rehder unterstellen - im positiven Sinne - dass er wütend war, als er seine Erwiderung schrieb. Gegen aufrechte Wut ist nichts einzuwenden. Leider verleitet sie oft auch dazu, sich unsachlich und der eigenen Stimme schädlich zu einer Ausdrucksweise hinreißen zu lassen, die der Sache abträglich ist. Diese "Sache" bestand hier (oder besser: würde bestanden haben) in einer niveauvollen Replik auf einen Standpunkt, den auch ich so nicht teilen (aber auch nicht völlig ablehnen) kann.

Vieles in Rehders Antwort auf Hornstein ist lesenswert. Es ist nicht unbedingt immer themenbezogen - man sucht oft vergeblich nach der Verbindung zu Hornsteins Äußerungen oder zum Flüchtlingsthema überhaupt - aber es bleibt lesenswert.

Und so ganz nebenbei, zum Abschluss: Ein bisschen weniger Bildsprache hätte dem Ganzen gut getan:
"Staat und Vaterland sind Güter, die Christen schätzen sollten, aber sie sind historische Gebilde und keine metaphysischen. Wer ihnen einen solchen Charakter zuweist, begibt sich in völkische Gewässer und läuft Gefahr, in ihren Untiefen in Seenot zu geraten."

PS: Eine genauere Auseinandersetzung mit Hornstein - sachlich und mit "Vernünftlichkeit" - soll folgen.

1 Kommentar:

  1. So klar und wahr wie ich es sonst noch nirgends gelesen.
    Gemeint ist der Beitrag von Hornstein.

    Es ist schwer, die Fakel der Wahrheit durch die Menge zu tragen, ohne jemanden den Bart zu sengen. Sagt Lichtenberg. So gesehen ist mancher Schaum vorm Munde (wie der der Replik) Brandschutz gewissermaßen und also verzeihlich und verständlich.

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