Ich habe bewusst von "Besuchern" gesprochen und nicht etwa von Pilgern, denn sicherlich werden sich auch viele Neugierige, Zweifler und Eventhascher unter ihnen befinden. Das finde ich weder schlimm noch schade, denn zumindest hinter Neugier und Zweifel steckt ja doch zumindest auch Interesse. Und wer kann wissen, mit welchen neuen Eindrücken und Gedanken jemand nach Hause fährt, der sich eigentlich nur wegen des "Ich war dabei" auf den Weg gemacht hatte.
Und was ist das Tuch in Turin für mich?
Ich bin grenzenlos neugierig. Und grenzenlos frustriert.
Original oder Fälschung?
Als zweifelnder Thomas suche ich denjenigen, der mir zweifelsfrei beweist:
"Das Tuch ist das echte Grabtuch Christi."Oder eben:
"Das Tuch ist eine Fälschung."Bücher, wissenschaftliche Abhandlungen, Veröffentlichungen im Internet etc. gibt es in fast unendlicher Zahl. Aber widerlegbar sind die "Ergebnisse" samt und sonders - egal, ob Pro oder Contra Echtheit, und teils wurden sie es auch schon.
Ich habe trotzdem intensiv nachgelesen. Frei nach Luther (so er das denn wirklich jemals gesagt hat): Hier stehe ich; ich kann nicht anders.
In allem Für und Wider gibt es zwei Hauptprobleme:
1. Aufrichtige Befangenheit und geheuchelte Neutralität
Es scheint unmöglich zu sein, eine Veröffentlichung zu finden, deren Verfasser sich dem Thema in wirklicher Neutralität genähert hätte.
Viele sind durchaus ehrlich; sie geben klar zu, von der Echtheit/Fälschung des Tuches überzeugt zu sein und dies mit ihrer Arbeit nachweisen zu wollen. Dagegen ist nichts zu sagen.
Doch es ist auch viel Heuchelei unterwegs. Da wird gerne behauptet, man wolle der Wahrheit auf den Grund gehen und völlig unvoreingenommen nur die klaren Fakten auf den Tisch bringen. Das Urteil möge sich der Leser dann selbst bilden. Doch immer trifft man auf die eine oder andere verräterische Wortwahl oder Satzstellung, die klar aufzeigt: Hier hat jemand in Wirklichkeit seine Entscheidung zur Thematik längst gefällt. Trotzdem verkauft er uns seinen Artikel als neutralen "Faktencheck".
2. Die Endlichkeit jedes endgültigen wissenschaftlichen Beweises
Nichts gegen die Wissenschaft, nur wird leider immer wieder vergessen - oft auch von ihren klügsten Kindern - dass jede noch so schlüssig klingende wissenschaftliche Beweisführung und Aussage stets dem Wissensstand und den technischen Möglichkeiten ihres Zeugungsmomentes unterliegt.
Soll heißen: Was uns die Wissenschaft heute einwandfrei und schlüssig "beweist", kann am nächsten Tag durch eine neue Erkenntnis oder eine labortechnische Neuerung widerlegt werden.
Trotzdem wurde uns in den letzten Jahrzehnten nach jeder Untersuchung des Tuches anschließend ein "Jetzt haben wir endgültig die Wahrheit herausgefunden"-Ergebnis vorgelegt. Die meisten dieser "endgültigen Ergebnise" wurden seitdem widerlegt oder doch wenigstens durch neuere Untersuchungsverfahren in Zweifel gezogen.
Ist das berühmte "Grabtuch von Turin" denn nun also wirklich das echte Grabtuch Jesu, oder ist es ein wie auch immer bemaltes Stück Stoff aus dem 13. Jahrhundert?
Ich sage gleich vorab: Diese Frage werde auch ich nicht beantworten können. Vielleicht habe ich mir bis zum Abschluss meiner "Nachforschungen" eine Meinung gebildet. Mehr aber ist nicht möglich.
Es gibt eine durchaus hochinteressante Arbeit aus dem Jahr 2014 von Charles Freeman zu meinem Thema:
http://www.historytoday.com/charles-freeman/origins-shroud-turin
Seine geschichtlichen Kenntnisse sind hochinteressant, und seine diversen Fachkenntnisse haben seinen Artikel zu einer der interessantesten Arbeiten gemacht, auf die ich bei meiner Suche gestoßen bin.
Freeman kommt zu dem Schluss, das Grabtuch sei von Menschenhand gemalt und stamme aus dem Mittelalter.
Aber - und hier wird es "lustig" - mir fiel beim Lesen auf, dass man jeder seiner Aussagen, so logisch sie auch klingen oder so wissenschaftlich belegt sie auch sein mag, auch als kleiner Laie widersprechen könnte. Und genau diesen Spaß mache ich mir jetzt auszugsweise:
Darstellungen des Tuches aus dem Mittelalter
Freeman erwähnt die verschiedenen bis heute erhaltenen Darstellungen des Grabtuches, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert angefertigt wurden, und zwar jeweils aus Anlass einer Ausstellung des Tuches. Er greift einen Stich heraus, dessen Künstler für seine Detailgenauigkeit bekannt war. Und er führt aus, dass zu dieser Zeit die Figur auf dem Tuch weitaus deutlicher erkennbar gewesen sein muss als heute, denn wie sonst hätte der Künstler figürliche Einzelheiten verarbeiten können, die heute mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar sind?
Er zieht daraus den Schluss, das Tuch habe im 16. und 17. Jahrhundert völlig anders ausgesehen als heute. Also doch nur eine durch Licht und Luft langsam verblassende Malerei?
Das ist möglich.
Auch möglich ist, dass die damaligen Künstler das, was sie mit bloßem Auge erkennen konnten, in ihren Werken intensiviert darstellen mussten, denn wer sich das Tuch heute ansieht, dem ist klar, dass ansonsten eine realistische Wiedergabe damals nur ein Tuch mit Brandflecken und einigen nebulösen Schatten gezeigt hätte.
Kein Grabtuch vor 1355
Vor seinem Auftauchen in der Kapelle von Lirey im Jahre 1355 habe niemand einen signifikanten Beweis für die Existenz des Tuches gefunden.
Ja, das lässt den Gedanken aufkommen, das Tuch stamme eben doch aus dem Mittelalter.
Das ist möglich.
Tutanchamuns Grab wurde 1922 entdeckt. Bis dahin hatte es keinerlei Beweis für seine Existenz gegeben.
Auch stellt sich mir die Frage: Welche (nach Freemans Meinung) NICHT signifikanten Beweise wurden denn gefunden? Schade, dass er sie uns "unterschlägt".
Blutige Spuren
Der Mensch auf dem Tuch weist die blutigen Spuren und Verletzungen einer Kreuzigung und vorheriger Folter auf.
In den Zeiten vor "Auffindung" des Tuches, so führt Freeman an, habe es nur "unblutige" Darstellungen des Gekreuzigten gegeben. Erst später - ausgelöst durch Kreuzigungsvisionen von Heiligen der damaligen Zeit, sowie einem erneuertem Studium der Passionsdarstellungen in den Evangelien - habe sich dies geändert. Und diese neue Ikonographie habe der Maler des Tuches übernommen.
Das ist möglich.
Auch möglich ist die umgekehrte Variante: Die Auffindung des Tuches, seine Ausstellung und die vielfältige Wiedergabe dessen, was darauf zu erkennen ist, haben eben genau diese neue Ikonographie erst ausgelöst.
Stoffproben
Ja, die diversen Untersuchungen des Stoffes selber - ein sich inzwischen über viele Jahrzehnte spannendes Feld. Hierzu hat Freeman mannigfaltige Details zusammengetragen. Vereinfacht: Man habe Farbpigmente auf den untersuchten Stoffproben gefunden. Man habe keinen Hinweis auf Blutbestandteile auf den Proben gefunden. Man habe im Radiocarbontest von 1988 festgestellt, dass die untersuchte Probe aus dem Mittelalter stammen müsse. Es handele sich bei dem Stoff um eine Webart, wie man sie aus der Antike sonst nicht kennt, und die eher im Mittelalter verankert sei. Und Spuren von Baumwollfasern im Stoff wiesen ebenfalls eher auf eine Herstellung im Mittelalter hin.
Das sind harte Fakten. Und insbesondere einen bestimmten Widerspruch möchte er gleich vorweg ausgeschlossen sehen: Dass nämlich jener Teil des Tuches, aus dem die Proben genommen wurden, "verunreinigt" gewesen sein könnten, bzw. nicht wirklich Teil des ursprünglichen Tuches gewesen seien. Darauf gebe es keine schlüssigen Hinweise.
Gut, hier muss mein eigener Widerspruch aus Mangel an Fachwissen schweigen. Aber:
Es gibt ja wissenschaftlichen Widerspruch zu seinen Thesen. Hier einige Beispiele (ich habe übrigens bewusst nur säkulare Medien herangezogen, denen eben nicht zu unterstellen ist, unbedingt etwas "beweisen" zu wollen):
Da haben wir einmal
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/chemische-analyse-turiner-grabtuch-koennte-echt-sein-a-338776.html
(ein zugegeben schon etwas älterer Artikel)
http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-17203-2014-02-12.html
(aus dem Jahr 2014)
http://www.n24.de/n24/Wissen/History/d/4270866/das-grabtuch-von-turin-koennte-echt-sein.html
(auch aus 2014)
Der Sinn der Malerei
Ein wie ich fand hochinteressanter Aspekt bei Freeman ist die Frage nach dem SINN eines solcherart bemalten Tuches. Das Wort "Fälschung" wird ja gerne in den Ring geworfen, aber so wirklich erklären, weshalb sich damals jemand die Mühe einer so "raffinierten" Fälschung gemacht haben sollte, darauf hat (zumindest bei meiner Recherche) niemand auch nur den Versuch einer Antwort geleistet.
(Und dass mir niemand hier etwas von "der bösen Kirche" sage, denn genau dort saßen zu Anfang die schärfsten Gegner einer Tuchverehrung, und bis heute ist die offizielle Haltung der kath. Kirche, das Grabtuch von Turin als "verehrungswürdige Ikone" zu bezeichnen.)
Freeman dagegen zaubert eine hochinteressante Erklärung aus dem Ärmel: Es habe zur damaligen Zeit, und lange darüber hinaus, den Brauch gegeben, zu Ostern in den Kirchen eine "Inszenierung" der Auffindung des leeren Grabes zu gestalten, während derer auch ein solches (bemaltes) Grabtuch vor den Gläubigen gezeigt und ausgebreitet wurde.
Und um ein solches "Grabtuch" handele es sich auch bei dem Tuch in Turin.
Keine böswillige Fälschung also, sondern eine für die Osterfeier angefertigte Malerei, die in späteren Jahrhunderten misinterpretiert wurde.
Ich gebe zu: Damit hätte er mich fast überzeugt. Und dann regte sich doch auch hier wieder mein Widerspruch.
Eine Malerei für die Osterzelebration. Ja. Gut. Klar. Und natürlich gibt es Künstler und KÜNSTLER, also solche, die nur eine sehr grobe Darstellung des Gekreuzigten zustande brachten, und solche, die in der Lage waren, ein wahres Kunstwerk zu schaffen. Und hier war eben ein KÜNSTLER am Werk.
Nein. Tut mir leid, aber einen Sinn ergibt das nicht: Weshalb sollte ein Künstler, der den Auftrag hat, ein Tuch für diesen kirchlichen Anlass herzustellen - also für die Zurschaustellung vor dem Kirchenvolk - warum sollte dieser Künstler ein Bild malen, das erst als Fotonegativ seine wahre und klare Gestalt annimmt? Und das Jahrhunderte vor der Erfindung der Fotografie?
Das ergibt nun wirklich keinen Sinn.
Widerspruch, nicht Widerlegung
Hier will ich mit meinen Widersprüchen aufhören. Und etwas erklären:
Es ist mir wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es Widersprüche sind - keine Widerlegungen. Der Unterschied ist wesentlich: Ein Widerspruch sagt
"So könnte es aber AUCH sein."
während eine Widerlegung sagt
"Nein - nur SO kann es sein."
Freeman kann mit allem, was er sagt, völlig richtig liegen. Doch meine eigenen und die weit wichtigeren Widersprüche von Fachleuten sollen zeigen: Es muss aber nicht notwendig so sein.
Abschließende Fragen
Nachdem ich hier geschrieben und zahllose Internetseiten besucht habe, geht mir die Frage nicht aus dem Kopf, weshalb sich dieses Stück Stoff so vehement einer endgültigen und klaren Aussage über seine Natur widersetzt. Es ist im wahrsten Wortsinn un-fassbar.
Und eine zweite Frage beschäftigt mich: Weshalb bin ich bei meiner Internetrecherche auf unzählige Seiten gestoßen (die ich hier nicht verlinken werde), in denen ein solcher Hass auf das Tuch in Turin vorherrscht, dass einem "ganz anders" wird. Zweifel - ja. Ablehnung - ja. Spott - meinetwegen auch das. Aber woher dieser abgrundtiefe Hass - sowohl auf das Tuch als auch auf all jene, die an seine Echtheit glauben?
Jemand meinte kürzlich in einem anderen Zusammenhang zu mir: Hass generiert sich oft aus Angst.
Dieser Hass, den es bei manchen Gruppen auslöst, und jene Un-fasslichkeit, mit dem es sich dem menschlichen Verständnis entzieht - es mag seltsam klingen, aber tatsächlich erscheinen mir diese beiden Dinge als die besseren Hinweise auf eine mögliche Echtheit des Grabtuchs von Turin als alle wissenschaftlichen Erklärungsversuche.
Leseempfehlung
Wer sich ein wenig genauer informieren möchte, findet bei der Uni Köln interessanten Lesestoff.
http://www.ikp.uni-koeln.de/user/endres/shroudofturin/index.php?content=legende
Und wen es nicht stört, es hier mit einem absoluten Verfechter der Echtheit des Tuches zu tun zu haben, der mag sich einmal von Paul Badde das Buch
"Das Grabtuch von Turin"
kaufen. Es ist allemale interessant, seiner "Beweisführung" zu folgen, und seine - von ihm selbst stammenden - Bilder sind hervorragend.