Warnung: In diesem Beitrag wird das Wort "selbsternannte" in Opulenz zum Einsatz kommen, denn einmal - EINMAL! - möchte auch ich mir den Spaß leisten, mit diesem rhetorischen Totschläger um mich zu werfen. Wer das nicht aushält, sollte nicht weiterlesen.
Merke: Dies ist keine Streitschrift FÜR "Pegida". Sie richtet sich ausschließlich GEGEN die Art und Weise, wie derzeit versucht wird, mit diesem neuen Phänomen (und den Menschen) umzugehen.
So, jetzt aber...
Pegida Wer? Alles Vollidioten?
Wer von euch hatte vor, sagen wir mal, einem Monat schon von "Pegida" gehört? Hand hoch! Niemand? Ich auch nicht.
Umso interessanter, wie viel die selbsternannten Beschützer demokratischer Werte heute zu wissen glauben. Wie schrieb doch einer von ihnen in der Kommentarfunktion eines Blogs:
"Wenn 10.000 Menschen in Dresden auf die Straße gehen - dann können das doch unmöglich alles Vollidioten sein!" - "Doch, können es!"
Alles Vollidioten. Okay, das macht es natürlich leicht: Vollidioten - die kann man abhaken. Mit denen muss man sich nicht beschäftigen, deren Motivationen muss man nicht hinterfragen - am besten niederknüppeln, das Pack.
Ähnlich einfach macht es sich derzeit noch das Gros unserer Politik wie auch unserer Medienlandschaft. Nur greifen sie zu anderer Rhetorik: Alles Nazis. Rechtspopulisten. Volksverhetzer. Rassisten. Ausländerfeinde. Schande für Deutschland. Mit denen muss man sich nicht beschäftigen, deren Motivationen muss man nicht hinterfragen - am besten niederknüppeln, das Pack.(Hier natürlich nicht in echt, auch wenns beliebte, aber wenigstens rhetorisch halt.)
Die Holzwege
Aber sehen wir uns die Sache jetzt bitte doch einmal nüchtern an:
Etwas ist faul im Staate Deutschland, wenn es nicht mehr die paar versprengten "Ewiggestrigen" sind, die auf den Straßen dumpfe Parolen brüllen - "Spinner gibts immer!", da sind wir uns einig - sondern wenn stattdessen Zehntausende seit mehreren Wochen in Schweigemärschen gegen eine "Islamisierung des Abendlandes" vorgehen (oder zumindest meinen, dies tun zu müssen).
Etwas ist faul im Staate Deutschland, wenn so einigen Politikern und Medienvertretern bis heute nichts besseres einfällt, als Zehntausende in der "rechtspopulistischen" Nazi-Ecke kaltzustellen (oder zumindest meinen, dies tun zu können).
Etwas ist faul im Staate Deutschland, wenn so manche Politiker und Medienvertreter mit Schaum vor dem Mund zum Kampf gegen "Pegida" aufrufen, und sich dabei doch nur als blutige Anfänger outen, die den wichtigsten Grundsatz im Kampf außer Acht lassen, der da lautet: "Kenne deinen Feind!". Denn wie anders wäre zu erklären, dass man offensichtlich nicht einmal das online frei zugängliche "Posititionspapier" der "Pegida" kennt? Da werfen selbsternannte Gewissenswächter aus Politik und Medien tränenfeuchten Auges die Frage auf, wie man (= "Pegida") mit dem Wissen über die Gräueltaten, denen Flüchtlinge in Syrien, im Irak und anderswo ausgesetzt waren, die Aufnahme dieser Flüchtlinge bekämpfen könne - während gleich Punkt 1 des besagten "Positionspapiers" lautet:
"PEGIDA ist FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist Menschenpflicht!"
(Anm.: Ich behaupte NICHT, dass alle oder auch nur eine Mehrheit der Demonstranten diesen Punkt verinnerlicht haben - aber ich halte es für "strunzdämlich", eine Breitseite zu schießen, die so offensichtlich ins Leere läuft.)
Etwas ist faul im Staate Deutschland, wenn Demonstranten nicht mehr jedem Mikrofon nachjagen, das nicht schnell genau bei "drei" auf den Bäumen ist, um ihre Anliegen und Ansichten hineinzubrüllen, sondern wenn stattdessen vorgehaltene Mikrofone weggeschoben werden, mit Aussagen wie "Wir vertrauen euch nicht!" und "Ihr sagt sowieso nicht die Wahrheit über uns!".
Das eigentliche Problem
Ich habe über "Pegida" selbst noch kein Urteil getroffen. Von selbsternannten Meinungsbildnern - guten wie schlechten - habe ich mich in den letzten Tagen fernzuhalten versucht, denn das "BILD dir eine Meinung" möchte ich schon ganz gerne selber tun. Ich bin auch unsicher, ob es ausreicht, die Initiatoren als "Rechtspopulisten" und "Rechtsradikale" zu "entlarven" - wichtiger fände ich es, sich die zehn- bis fünfzehntausend "Normalos", die an einer solchen Demonstration teilnehmen, einmal näher anzusehen; sich mit ihnen zu beschäftigen und herauszufinden: Was hat diese Unzufriedenheit verursacht? Woher dieses Misstrauen gegen Staat und Medien?
Denn hier liegt für mich das wahre und sehr schwerwiegende Problem:
Da ist ein offensichtlich rasant anwachsender Anteil unserer Bevölkerung, der diesem Staat das Vertrauen entzogen hat, der sich von den sogenannten Volksvertretern nicht mehr vertreten fühlt, und der sich stattdessen von Politik und Medien als "verraten und verkauft" betrachtet.
Das ist gefährlich. Brandgefährlich. Und genau deshalb ist es unverantwortlich, diese schnell anwachsende "Bewegung" in einer ebenso schnell aufgezogenen Schublade ablegen zu wollen. Wir erleben hier Menschen, die Wut und Zorn gewaltfrei (hoffentlich bleibt es so) auf die Straße tragen, die sich vom Staat verraten fühlen, die das Vertrauen verloren haben, und für die Politik etwas ist, das GEGEN sie gemacht wird, statt FÜR sie. Sie alle als tumbe Nazis abzutun wäre - ich sags noch mal - brandgefährlich.
Hat sich mal jemand überlegt, was aus einer solchen Bewegung erwachsen kann, falls sie die richtige *hüstel* FÜHRung erhält?
Stattdessen mokiert man sich über den Initiator des Ganzen, bzw. darüber, dass es sich um einen ehemaligen "Knastbruder" handelt, den man schon allein deswegen nicht ernst nehmen muss........ Wie geschichtsvergessen darf man eigentlich sein?
Vorsichtiges Umdenken?
Einige Politiker haben inzwischen eingesehen, dass man diese Demonstranten nicht einfach als "rechts" abhaken und unter "müssen wir bekämpfen" ablegen darf, sondern dass es notwendig ist, sich damit auseinanderzusetzen, was diese Menschen antreibt, und wie man ihren Ängsten und ihrem Frust und ihrem Vertrauensverlust auf positive Weise begegnen kann.
Dies muss aber, wenn es Früchte tragen soll, auch selbstkritisch erfolgen! Solange stets nur "die anderen" (Parteien) Schuld sind, so wie man es bisher handhabt, wird man den Frust in der Bevölkerung nur vergrößern.
In den Medien scheint dieses - und sei es noch so zögerliche - Umdenken bisher nicht angekommen zu sein. Dort fliegen uns die "selbsternannten"-Keulen weiterhin munter und in einer Weise um die Ohren, wie ich es hier trotz meines eingangs geäußerten guten Vorsatzes nicht habe durchhalten können.
Andererseits sprach ich ja auch nur von "einigen Politikern", als es um das Umdenken ging. Bei den meisten Vertretern unseres Volkes überwiegt derzeit noch der besagte Schaum vor dem Mund.
Aber wir stehen kurz vor Weihnachten - haben wir also Hoffnung. Sie ist nötiger denn je.