Freitag, 21. Juli 2017

Ein eigennütziges Geburtstagspäckchen und ein Entschuldigungsbrief

In dieser Woche habe ich der Tochter einer sehr alten Freundin (die Freundschaft ist alt, nicht die Freundin) ein Geburtstagspäckchen geschickt, dem ich einen Entschuldigungsbrief beigelegt hatte. Meine Freundin meinte dann
"Diesen Brief musst du auf deinem Blog veröffentlichen oder in einer Buchhandlung aushängen."
Naja, fangen wir mal mit meinem Blog an. Hier ist der Brief:

Liebe F.,

das hier darfst und sollst du laut vorlesen, denn bestimmt ist deine Mutter ja beim Auspacken deines Geburtstagspakets dabei.

Was schenkt man normalerweise zum Geburtstag? Ein Buch. Wenn es ein kleines Buch ist oder das Geburtstagskind sehr schnell liest, dann dürfen es auch mal zwei Bücher sein.

Wenn es aber mehr als zwei Bücher werden, dann könnte man sagen (und ich wette mit dir, dass deine Mutter genau das tun wird): „Also, das geht jetzt aber gar nicht!"

Und weißt du, was? Deine Mutter hätte vollkommen Recht. Und doch hat sie Unrecht. Denn in Wirklichkeit sind die Bücher, die ich dir hier schicke, ein ganz und gar eigennütziges Geburtstagsgeschenk.

Es ist nämlich so, dass wir Erwachsene ein Riesenproblem haben:

Als wir in deinem Alter waren, gab es nicht so viele tolle Bücher für uns wie es sie heute gibt. Und darum gehen wir heute neidisch durch die Kinderbuchabteilungen und würden sooooo gerne richtig nach Herzenslust in all den Abenteuer- und Fantasy- und den vielen anderen tollen Büchern stöbern. Aber wir dürfen ja nicht. Stell dir vor, wie das aussähe: Erwachsene, die mit leuchtenden Augen ein Kinderbuch nach dem anderen aus den Regalen zögen, um darin zu blättern und sich festzulesen! Dazu sind Erwachsene viel zu… naja… erwachsen eben. Was sollen denn da die Leute denken?

Wenn sie aber Glück haben, diese Erwachsenen, dann haben sie eine Freundin, und die hat wiederum eine Tochter, die im richtigen Alter ist für Kinder- und Jugendbücher.

Das mit dem „richtigen Alter" ist natürlich wieder so eine Erwachsenensache: Es sind ja die Großen, die festlegen, welche Bücher von den Kleinen gelesen werden sollen, und dann eben auch nur von den Kleinen. Und weil die Großen in Wirklichkeit gar nicht so klug sind, wie sie gerne von sich glauben, kämen sie überhaupt nicht auf die Idee, sich im Irrtum zu befinden. (Das beste Zeichen für Dummheit ist ja, sich für klug zu halten.) Und weil es ihnen also viel zu peinlich ist, beim Kinderbuchlesen erwischt zu werden – deshalb brauchen sie eine gute Ausrede!

Und da kommst du ins Spiel. Denn für ein Kind ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen – das ist völlig in Ordnung. Sowas tun Erwachsene. Und wenn das Kind gerne liest, dann kauft man ein Buch. Und hier – Heureka! – haben wir ihn: Den perfekten Grund, weshalb auch ein Großer nach Herzenslust in der Kinderbuchabteilung stöbern darf, denn schließlich will so ein Geschenk ja gut ausgewählt sein!

Und es kommt noch besser: Hat der Erwachsene das Geschenk dann gekauft, hat er geradezu die Pflicht, das Buch vor dem Verschenken auch zu lesen! Er könnte ja aus Versehen das völlig falsche Buch gekauft haben, ein langweiliges Buch zum Beispiel, oder eines, in dem ganz böse geflucht wird!

Aber siehst du, jetzt kommen wir zu dem Punkt, wo es für den Erwachsenen wieder so richtig schwierig wird: Er hat ja jetzt eigentlich schon ein Buch für das Kind. Beim nächsten Einkaufsbummel in der Stadt lockt aber doch die Buchhandlung aufs Neue! Was tun? Ach, naja, sagt er sich, ein Buch ist kein Buch – und er stöbert sich wieder genüßlich durch die Regale, immer mit dem besten Gewissen, denn er sucht ja nur ein Geburtstagsgeschenk für ein Kind. Nie käme unser Erwachsener auf die Idee, sich selber für Kinderbücher zu interessieren. Er ist ja schließlich erwachsen!

Du lachst! Und womit? Mit Recht! Das ist wirklich zu dumm: Da haben sie irgendwann einmal selber bestimmt, was erwachsen ist, und was nicht, diese Großen, was man tun darf, und was nicht – und dann halten sie sich ein Leben lang verbissen an die eigenen Regeln und kommen gar nicht auf die Idee, dass sie einfach nur kompletter Blödsinn sind. Das kommt davon, weil sie irgendwann, während sie wachsen, aufhören, sich selbst zu hinterfragen. Spätestens bei 1,70m Länge ist damit Schluss. Pass also gut auf, wann du die 1,69m erreichst, denn vielleicht kannst du dann verhindern, dass einen Zentimeter später auch du endgültig aufhörst, dir immer wieder Fragen nach dem Sinn dessen zu stellen, was du gerade tust und lässt.

Aber zurück zu unserem Erwachsenen in der Buchhandlung – dieser arme Tropf hat seine 1,70m eines Tages unbemerkt überwachsen und steckt nun leider in seinem eigenen Regelwerk fest; da kann man nichts mehr machen.

Für ihn wird es jetzt eng: Zwei Bücher sind genug, weiß unser Erwachsener. Doch da sind noch so viele andere Bücher, in die er gerne seine Nase stecken würde. Und in diesem Moment muss er sich eingestehen: Nicht das Kind wird hier beschenkt, sondern der Erwachsene beschenkt sich selbst, und das arme Kind hat keine Wahl, als sich damit abzufinden, dass es im Grunde nur der Vorwand ist, mit dem unser Erwachsener sich selig lächelnd in kindliche Abenteuerwelten flüchten darf.


Ja, ich fürchte, ich muss es zugeben: Alle Bücher, die ich dir hier schicke, sind schon gelesen. Natürlich nur – damit das ganz klar ist! – um sicherzustellen, dass es auch die richtigen Bücher für dich sind. Aus keinem anderen Grund.

Ich kann also nur hoffen, dass du mir nicht böse bist, wenn ich nun von dir verlange, all diese schon gelesenen Bücher als Geburtstagsgeschenk zu akzeptieren. Lesen musst du sie natürlich nicht. Es ist völlig in Ordnung, wenn du sie einfach ungeöffnet in das nächste Regal stellst und sie nie mehr ansiehst.

Ach ja, eines noch: Wenn du irgendwann einmal deine Mutter dabei überraschst, wie sie in einem deiner Bücher liest, dann gehe einfach ganz leise wieder hinaus und störe sie nicht – sie will ja nur prüfen, ob die Geschichten darin für ihre Tochter passend sind. Komme bloß nicht auf die Idee, deine Mutter würde etwa gerne Kinderbücher lesen! Dazu sind wir beide – sie und ich - viel zu erwachsen!

Einen wunderschönen Geburtstag wünsche ich dir – hoffentlich ohne noch weitere schon gelesene Bücher!


Ja, das war er, mein Geburtstagsbrief zu meinem ganz und gar eingennützigen Geburtstagspäckchen. Später habe ich meiner Freundin dann noch geschrieben, dass ich WIRKLICH alle Bücher vorher gelesen hätte. Worauf sie antwortete:
"NATÜRLICH hast du das!"
(Ebenso NATÜRLICH weiß ich, dass auch sie alle Bücher lesen wird, die ich ihrer Tochter geschenkt habe.)

Nicht umsonst sind wir seit mittlerweile 35 Jahren die besten Freundinnen.

1 Kommentar:

  1. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nie groesser als 1,59 geworden bin, dass ich auch heute, mit fast 68J noch voellig hemmungslos u mit grossem Genuss Kinderbuecher lesen u auch andere "kindische" Dinge tun kann, wie z.B. schaukeln, auf Maeuerchen ballancieren, mich an "Unkraut" freuen u nicht zuletzt, meinen eigenen Kopf zu haben. Vielen Dank fuer Ihren vergnueglichen Brief. HBF

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