Man kann sich über "Kirche" jeden Tag aufregen. Oft mit gutem Recht.
Man kann "Kirche" auch als Trauerspiel bezeichnen, so wie ich in einem meiner letzten Blogbeiträge. Ebenfalls oft mit gutem Recht.
Man kann aber auch mit einem versöhnlichen Blick auf die Kirche schauen. Nicht auf "Kirche" im großen Ganzen, sondern beginnend mit der eigenen kleinen Kirche im Dorf.
Das wurde mir gestern Abend klar.
Gebaut wurde die Kirche in den 1970ern. Der Neubau war "alternativlos", da die alte Kirche in sich zusammenbrach - die Renovierung wäre teurer gewesen als ein Neubau. Die "Neue" ist ein Betonbau, gehört aber zu einer jener Ausnahmen, die man als "gelungen" bezeichnen kann, innen wie außen. Es bleibt Beton, das ist wahr, und sie wird darum nie einer gotischen oder romanischen Kirche gleichkommen. Der Innenraum ist schlicht und wird nie einer der vielen römischen Kirchenräume das Wasser reichen können. Aber er ist auf seine Weise schön und auch einladend.
Die Sonntagsmessen werden weniger, die Wortgottesdienste überwiegen, Dank sei den GDGs und den völlig überlasteten verbleibenden Priestern. Würde unser inzwischen im Ruhestand befindlicher Pfarrer mit seinen 86 Jahren (!) nicht weiterhin die Messe lesen ("Ich mache weiter, bis der Chef da oben die Grenze setzt."), sähe es übel aus für unsere Gemeinde. So gibt es halt die Messe meist im Wechsel: mal sonnabends, mal sonntags, und manchmal eben auch gar nicht.
Gestern bin ich zum ersten Mal in die Abendmesse gegangen, statt sonntags in eine Nachbargemeinde zu fahren. Es kam einfach gerade zeitlich besser aus. Und ich war sehr früh dort, fast eine halbe Stunde.
Ruhig war es, und nur der Altar wurde vom großen Weihnachtsbaum beleuchtet, der immer noch stand - so wie auch Krippe. (Ja, ja, ihr lieben Leute, die ihr euch am 25. Dezember ein "Ei guck, nun ist Weihnachten schon wieder vorbei" zuwerft - das ist durchaus "drin".)
Zwei Frauen saßen schon in der Kirche. Es war ganz ruhig. Schön, einmal so lange vor einer Messe schon die Gedanken - und sich selber - sammeln zu können. Dann setzte das Glockengeläut ein und langsam füllte sich die Kirche.
Da war das ältere Ehepaar in der Bank hinter mir, das sich leise über eine verlegte Lesebrille käbbelte.
Die beiden Frauen in der Bank vor mir, die über ihre Krankheiten sprachen.
Der aufrechte alte Herr im feinen Tuchmantel, der sich die ganze Messe über zu jedem Flüstern, Husten oder Naseputzen kopfschüttelnd und mit hochgezogener Augenbraue umwenden würde.
Weiter vorne die nicht mehr ganz junge Dame im Leoparden(web)pelzmantel und einer roten Strickmütze, die in Form und Farbe erschreckend an die Gummischwimmkappen aus den 1970ern erinnerte.
Das junge Paar mit dem kleinen Sohn, den der Vater mit Engelsgeduld immer wieder an der Hand durch den Kirchenraum führte, wenn Sohnemann "nölig" wurde.
Die Kanarienvogelwürger waren da - ein Ausdruck, den ein Freund vor Jahren einmal benutzt hat, um die seltsame Handhaltung mancher Beter zu beschreiben, die ihre Hände so falten, dass es aussieht, als würden sie einen Kanarienvogel in der Hand halten, den sie langsam zu Tode würgen wollten. Als mir dieser Ausdruck gestern wieder einfiel, habe ich eine gute Minute lang unterdrückt gekichert.
Da war der Organist, der zu früh einsetzte, und der Messdiener, der die zweite Lesung in einem so echten rheinischen Singsang hielt, dass es eine Freude war - auch, wenn man nicht jedes Wort verstehen konnte. Am Ende kam aus einer Ecke ein geflüstertes und eindringliches "WORT DES...!", das den Vorleser an den vergessenen Schlusssatz erinnern musste.
Nach der Lesung des Evangeliums erklärte uns der Priester, dass die Seligpreisungen nicht nur für die damals Versammelten gesprochen wurden, sondern dass jede einzelne gerade heute für jeden von uns gälte. Diese einfache aber nahegehende Rede schloss er mit einem "Amen." und einem langen Schweigen.
Es war so gar nichts perfekt gestern Abend. Der Ablauf nicht, das "Ambiente" nicht, und die Menschen schon mal gleich gar nicht.
Und doch...
"Kirche" besteht nicht aus Kardinälen und Bischöfen und dem, was sie sagen oder nicht sagen, tun oder nicht tun. Weder besteht sie aus PGRs oder WisiKis, noch begreift sie sich in prächtigen Bauten oder beeindruckenden Kunstwerken.
Die Kirche ist überall dort, wo sich Menschen zu einer Messe oder auch "nur" einem Gebet zusammenfinden. Diese Menschen sind dann "Kirche".
Und genau deshalb wird "Kirche" niemals perfekt sein. Für mich ein sehr versöhnlicher Gedanke.
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