Da gab es diesen Artikel in der Rheinischen Post:
RP Artikel
Nein, ich werde mich jetzt nicht darüber aufregen oder gegen die Frau in Großbritannien wettern, die während ihrer Schwangerschaft nicht und nicht zu überzeugen war, die Finger vom Alkohol zu lassen und die in der Folge ein behindertes Kind zur Welt brachte.
Ist das Körperverletzung oder gar versuchter Totschlag?
lautet die Frage, mit der sich dort das Gericht auseinandersetzen und entscheiden muss, ob dem behinderten Kind Gelder aus einem Opferfonds für Gewaltverbrechen zustehen.
Das sollen also andere entscheiden.
Es gab zu dem Artikel aber auch einige Kommentare, unter denen mir einer besonders auffiel:
Ooh, was haben wir nur verbrochen - meine Tochter macht zurzeit im Ausland in einer fremden Sprache ihren Master.
Trotz Alkohol während der Schwangerschaft ihrer Mutter.
Wahrscheinlich kommt es auf die Menge an?
Warum er mir auffiel? Weil er mich an einen Kommentar erinnerte, den mir kürzlich ein Unbekannter unter meinen Blogbeitrag zum Marsch für das Leben gesetzt hatte (
HIER zu finden) und der da lautete:
Mal Hand aufs Herz: Wer hat nur Sex rein zur Fortpflanzung?
Meine
Freundin und ich jedenfalls nicht! Wir genießen unser Sexleben in vollen
Zügen. Weil kein Verhütungsmittel 100% sicher ist, sind wir froh, ein
allenfalls ungewollt gezeugtes Kind abtreiben zu können. Schon in alten
Zeiten wurde abgetrieben und wie: Mit fragwürdigen chemischen Substanzen
oder dubiosen mechanischen Methoden wurde versucht, den Embryo zu
töten. Oft kam es vor, dass er die Prozedur mehr oder weniger stark
verletzt überlebte und in der Folge ein behindertes Kind geboren wurde.
Dass die abtreibende Frau bei diesem Eingriff erhebliche gesundheitliche
Risiken einging, kam noch dazu.
Die heutzutage angewandten
Abtreibungsmethoden -ob chemisch oder mechanisch durch Absaugung- töten
den Embryo sicher, schnell und schmerzlos und für die Frauen bestehen
kaum mehr gesundheitliche Risiken
Die Verbindung springt einen geradezu an:
Da ist eine Frau, die in ihrer Schwangerschaft Alkohol trank. Wohl wissend, dass eine Schädigung des Kindes damit zumindest
möglich wäre. Die nicht etwa glücklich und dankbar darüber ist, dass trotzdem alles gut gegangen und ihr Kind gesund zur Welt gekommen ist, sondern die sich hier voller Hohn zu Wort meldet. Es ist doch nichts passiert - also: was solls? Die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse wurde über das Wohl eines anderen Menschen gestellt.
Und da ist ein Mann, der zugibt, dass ihm zwei Dinge klar sind:
Abtreibung ist Mord (er selbst benutzt ja das Wort "töten")
und
Gesundheitliche Risiken bei der abtreibenden Frau sind auch heute noch möglich (er schreibt "kaum mehr" - was nichts anderes heißt als "manchmal eben doch")
Dieser Mann freut sich über die heutigen Abtreibungsmethoden. Sie ermöglichen ihm, das Sexleben mit seiner Freundin "in vollen Zügen" zu genießen. Denn das Kind, das vielleicht trotz Pille dabei so ganz "ungewollt" doch mal gezeugt wird, dieses Kind kann man heute ganz "sicher, schnell und schmerzlos" töten, und fast ohne gesundheitliche Risiken für die Frau.
Dieses Töten nimmt er also in Kauf, ebenso wie die mögliche gesundheitliche Schädigung seiner "Freundin". Weil er die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse über das Wohl der anderen Menschen stellt.
Und die Frau aus dem ersten Kommentar? Was wäre geschehen, wenn ihr eine pränatale Untersuchung angezeigt hätte, dass ihr Kind nun eben doch mit einer Behinderung zur Welt kommen würde? Würde sie vielleicht abgetrieben haben? Weil es doch heute so einfach geht, weil es ein so schneller und schmerzloser Tod für das Kind ist, und weil es für sie selbst doch kaum mehr mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist?
Es sind seltsame Ideen, die da umgehen in unserer Gesellschaft.
Ein Kind im Mutterleib zu töten, das ist heute "okay", weil es ja für das Kind schnell und schmerzlos geschieht (so nimmt man jedenfalls an, sich selbst beruhigend). Wir töten einen Menschen, aber wir tun es schnell und schmerzlos, und wir verhindern damit das Leid. Das Leid der unwilligen Eltern, deren Freiheitsstreben so völlig durcheinander geriete. Das Leid des ungewollten Kindes.
Und im Falle eines behinderten Kindes - wie viel mehr Leid wird da erst verhindert: Das Leid der Eltern und Geschwister, die mit dieser enormen Belastung leben müssten. Das Leid des Kindes sowieso, denn es KANN ja gar nicht anders. als unter seiner Behinderung leiden. Das Leid der Gesellschaft, wenn man an die Kosten denkt, die so ein behindertes Kind verursacht.
Für mich schlägt sich hier ein Bogen zur Sterbehilfe-Debatte, vom Anfang hin zum Ende des Lebens:
Gesetze müssen her! Sterbehilfe muss erlaubt werden! Tod auf Bestellung!
Warum auch nicht? Ich finde das gut. Denn es ist nur konsequent: So ein schwerkranker oder sehr alter Mensch - der leidet doch! Und Leid, das ist schlecht. Vor allem, wenn ich es mitansehen muss! So ein Leben, also mein eigenes Leben, macht doch nur Spaß, wenn ich vergessen kann, dass auch auf mich einmal Krankheit, Alter und Tod warten. Und die heutigen Alten und Schwerkranken - die sind mir wirklich eine höchst lästige tägliche Erinnerung.
Ich glaube, ich habe jetzt verstanden, worum es hier geht. Das Zauberwort heißt KONTROLLE.
Der Einzelne will Kontrolle über sein Leben. Total. Da lässt man sich durch nichts und niemanden abhalten von "mach' dein Ding", auch wenn es andere das Leben kostet.
Und die Gesellschaft will Kontrolle über den Einzelnen. Leid und Alter werden abgeschafft, indem man ein "rechtzeitiges Sterben" forciert. Alte und Schwerkranke sollen möglichst frühzeitig "eigenbestimmt" ihren Tod planen und so die Gesellschaft von ihrem Leid erlösen.
Die völlige Kontrolle des Einzelnen über sein Leben, und die völlige Kontrolle der Gesellschaft über das Leben des Einzelnen.
Ob der Widerspruch wohl noch rechtzeitig jemandem auffällt?