Montag, 30. Dezember 2019

Nutten knallen - der Humor der Spießbürger

Schon seit einigen Jahren gibt es zur Silvesterzeit einen Post, der an die Tiere und ihre Angst vor dem Feuerwerk zum Jahreswechsel erinnern will:


Ein "Spaßvogel" hat die Worte auf den letzten beiden Bildern dilettantisch überschrieben. Dort steht jetzt
"Kauf Nutten!" und "Kann man auch knallen."
Auf Facebook wurde es heute mit den Worten "so genial" geteilt. Und unsere versammelten Spießbürger, die sich im Internet und am Kneipentisch gerne leutselig locker und welterfahren geben, haben sich schenkelklopfend vor Lachen in die Feinrippunterhosen gemacht.

Ich machte die "Spaßbremse" (eine der anschließenden Beschuldigungen, die mir qua Shitstorm an den Kopf geworfen wurden) und schrieb:
"Was bitte ist genial an dem Aufruf, Frauen zu kaufen? Was ist genial, daran sich in herabwürdigender Sprache ("Nutten", "knallen") über Frauen zu äußern? Du enttäuschst mich sehr, XY; ich hätte mehr Stil und Anstand von dir erwartet."
Natürlich folgten die üblichen Erklärungen - das sei doch alles nur ein Spaß, und man darf doch nicht alles so wörtlich nehmen.

Nicht?

Warum nicht?

Ich schrieb weiter:
"Ich kann und will einen so widerlichen und herabsetzenden Sprachgebrauch nicht als Spaß sehen. Wer gegen eine Sache protestieren möchte, aber nicht in der Lage ist, dies zu tun, ohne dabei demütigend und verletzend zu sein, der soll es lassen. Nur ein Vollhonk protestiert gegen Silvesterböller, indem er gleichzeitig Frauen sprachlich erniedrigt."
Nun gut, der Shitstorm war danach zweigeteilt - einerseits warf man mir Beleidigung des Bekannten vor, der das Machwerk geteilt hatte. Ich hatte mit dem Begriff "Vollhonk" zwar eigentlich den Dilettanten gemeint, der hier gefälscht hatte, aber man soll nicht geizen - wer sich die Birkenstocks über die Socken ziehen will, der mag es tun.

Aber es ist schon lustig:

Die Aufforderung, sich als Nutten bezeichnete Frauen zu kaufen und diese dann zu "knallen" ist für unsere Spießbürger völlig in Ordnung. Den Verbreiter einer solchen Aufforderung einen "Vollhonk" zu nennen, das ruft dagegen ihre (selbst)gerechte Empörung hervor.

Die andere Seite des Shitstorms wurde natürlich von Männlein und Weiblein geritten, denen ich Spaßbremse war. Ich solle doch mal locker werden. Ob ich denn keinen Spaß verstünde.

Eine Dame kannte sich im Gewerbe offenbar so gut aus, dass sie meinte, mir den feinen Unterschied zwischen den Begriffen "Nutte" und "Hure" erklären zu müssen. Man kann es sich nicht ausdenken.

Aber es stimmt natürlich: Es war unfair, mich dort einzumischen. Da wollten ein paar launige Burschen im virtuellen Stelldichein einander jovial auf die Schulter klopfend über Frauenkauf und Nuttenknallen ihre maximale Männlichkeit feiern, während die versammelten Frauen ihre Weltoffenheit zur Schau stellen konnten, indem sie jegliche Empathie oder Anstand auf dem Basar der Anerkennung opferten, wie es eben nur wahre Spießbüger fertigbringen.

Lassen wir sie die eigene Großartigkeit feiern.

Donnerstag, 14. November 2019

Nicht mein Tag

Der Wecker klingelt.
Ich verwünsche ihn und stehe ich auf.
Im Bad stelle ich fest: Das Wasser bleibt kalt.
Ich entscheide mich gegen das Duschen.
Ich mache Kaffee und suche die Nummer des Installateurs.
Dabei gieße ich zuviel Wasser auf den Filter.
Der Kaffee fließt munter den Schrank herunter.
Der Anruf geht vor.
Ich wähle die Nummer des Installateurs.
Kein Freizeichen.
Ich schaue auf das Telefon: Es ist tot.
Ich wische den Kaffee auf und rufe den Installateur mit dem Handy an.
Er würde mir gerne einen Termin geben, braucht aber den Auftrag der Hausverwaltung.
Ich rufe die Hausverwaltung an.
"Wir wertschätzen Ihren Anruf." - aber erst ab 9 Uhr.
Ich gehe zur Arbeit.
Eher zufällig treffen der Installateur und ich uns in meiner Mittagspause vor dem Haus.
Ein Bestandteil, klein wie ein halbes Streichholz, aber durchgerostet wie der VW meines Vaters findet sich in der Gastherme.
Das Ersatzteil muss bestellt werden.
Im Büro ein Telefonat mit einem Geschäftspartner.
Ein netter Mensch.
Nach einer halben Stunde mache ich in stiller Verzweiflung eine wüste Geste Richtung Telefon.
Ich erwische mit dem Ellbogen das vor mir stehende Wasserglas.
Es war gefüllt.
Wasser ergießt es sich über Tisch, Papiere und meinen Pullover.
Eine Kollegin rennt mit Papiertüchern zu Hilfe.
Es gelingt mir, das Telefonat eine Viertelstunde später zu beenden.
Im Bad versuche ich, den Pullover mit Klopapier zu trocknen.
Der Erfolg ist mäßig.
Nach der Arbeit habe ich eine Verabredung in der Stadt.
Zum Umziehen ist keine Zeit, aber es wird schon gehen.
Als ich in der Stadt ankomme, fühle ich mich unterkühlt.
Ich betrete eine Boutique.
Der freundlichen Verkäuferin sage ich, dass ich einen Pullover suche.
"Welche Art von Pullover soll es denn sein?", fragt sie.
"Ein trockener.", antworte ich.
Sie weicht zurück.
Um die Situation zu retten, erzähle ich die Vorgeschichte.
Wir lachen beide.
Ihr Lachen ist echt.
Warm und trocken gekleidet und mit einem nassen Pullover in der Einkaufstüte gehe ich zum Restaurant.
Eine Freundin ist überfällig.
Das ist nicht ihre Art.
Ihr Anruf klärt, dass ich ihr zwar das richtige Restaurant, aber die falsche Straße genannt hatte.
Sie nimmt es gelassen.
Ich stehe auf, um vor dem Restaurant auf sie zu warten, damit sie uns leichter findet.
Dabei reiße ich den Kaffee vom Tisch und über meine Jeans.
Ich entscheide, mich den restlichen Abend im Zeitlupentempo zu bewegen.
Meine Freunde zögern trotzdem merklich, mir Messer und Gabel zu reichen.
Alles geht gut.
Ich bin zu Hause.
Das Wasser ist wieder warm.
Und doch:
Es war nicht mein Tag.