Sonntag, 19. November 2017

Reden wir!

Gestern wurde mein Glaube daran wiederhergestellt, dass eine zivisilierte Diskussion immer noch möglich ist: Eine größere Gruppe mit teils sehr unterschiedlichen Ansichten saß beisammen und diskutierte über Gott und die Welt. Ohne Ärger, ohne Streit, ohne Beschuldigungen, und ohne ein lautes Wort.

Genau so sollte eine Diskussionsrunde sein:

  • Man hört einander zu, auch, wenn der andere gerade nicht das sagt, was man selber hören möchte. 
  • Man lässt den anderen ausreden, so sehr einem die Gegenrede auch unter den Nägeln brennen mag. 
  • Man hört aktiv zu, statt in Gedanken bereits die eigene Erwiderung zu formulieren.
  • Man stellt nicht nur die Meinung des anderen, sondern auch die eigene auf den Prüfstand.
  • Man versucht, einander freundschaftlich zu überzeugen, statt herauszufinden, wer der lauteste Schreier ist. 
  • Man ist bereit, Standpunkte zu einem Thema kennenzulernen und zu akzeptieren, die einem bis dahin fremd waren.

Das und noch viel mehr sollte der Sinn einer Diskussion sein. Sie sollte den Teilnehmer und auch den Zuhörer am Ende ein wenig reicher zurücklassen.

Muss ich erklären, weshalb sich mein Glaube an eine solche Diskussionskultur verloren hatte?

Was muss ich zu Facebook, Twitter & Co. sagen, das nicht alle bereits erlebt haben?

Trolle. Pöbeln. Blockieren. Beschimpfen. Entfreunden. Beschuldigen. Filterblasen. Fake News.

Aber den Digitalen Medien die Alleinschuld zu geben funktioniert nicht.

Nehmen wir die heutigen TV-Talkshows, die seit langem unter dem Deckmäntelchen einer "seriösen Diskussionsrunde" nach immer dem gleichen Schema ablaufen:
  • Ein "Aufreger-Thema", um möglichst viele Dauerempörte vor den Bildschirm zu holen.
  • Ein "Hassgast", dessen Ansichten diametral zu jenen aller anderen Gäste inkl. "Talkmaster" und einem Großteil des Publikums stehen.
  • Eine Talkrunde, die größtenteils aus den immer gleichen "üblichen Verdächtigen" besteht.
  • Ein Publikum, das stehts brav an den richtigen Stellen lacht, hasst, empört und applaudiert. 
Der "Hassgast" ist wichtig - ohne ihn (oder sie) könnte sonst auch dem dümmsten Zuschauer eines Tages auffallen, wie absolut witz-, zweck- und sinnlos die heutigen Talkshows sind, in denen niemand auf den anderen hört, jeder stets verliebt der eigenen Stimme und Redezeit hinterherläuft, und in denen am Ende niemand auch nur um ein Jota klüger ist als zu Beginn der unsäglichen Veranstaltung.

Aber solange ein "Hassgast" darunter ist, können sich der Talkmaster und seine Gäste, das Publikum im Studio und die Dauerempörten daheim, im Gemeinschaft erzeugenden Gefühl des "Wir Guten gegen den Bösen" suhlen, sich bei Witzen auf dessen Kosten auf die Schenkel klopfen und das befriedigende Gefühl genießen, es der "Witzfigur" mal so richtig gezeigt zu haben.

Überspielt wird damit die eigentliche Inhaltslosigkeit der sogenannten "Diskussions"-runde, die schon lange nichts anderes mehr ist als eine reine "Show" - wie ihr Name ja auch ganz richtig sagt.

Diesen Verzerrungen und Entstellungen all dessen, was eine wahre Diskussionkultur ausmacht, können wir uns entgegenstellen.

So wie gestern Abend.

Von Mensch zu Mensch.
  • Zuhören.
  • Nachdenken.
  • Reden.

In dieser Reihenfolge.

Der Gewinn ist immens. Für jeden von uns. 

Sonntag, 12. November 2017

Wenn Heiligabend auf einen Sonntag fällt...

Zurzeit hyperventiliert ja ein Teil der deutschen Bevölkerung:

Sie haben festgestellt, dass Heiligabend auf einen Sonntag fällt: Drei Tage hintereinander geschlossene Geschäfte. Das geht gar nicht, sagen sie, und sie fordern:

Wenigstens einige Stunden lang sollen die Geschäfte auch an Heiligabend öffnen - Sonntag hin oder her!

Es sind natürlich die gleichen Leute, die auch verlangen, die Sonntagsruhe der Verkäufer/innen generell abzuschaffen.

Weil sie ihre Freiheit wollen. Und zu dieser Freiheit gehört eben auch, sonntags einkaufen zu können.

Die Freiheit der Verkäufer/innen ist ihnen dabei egal.

Das kann ich verstehen: Verzogene und verwöhnte Menschen, die nach der Maxime leben
"Ich will alles, und das sofort!"
wurden entweder nie zur Rücksicht auf andere erzogen, oder sie haben diese Rücksicht irgendwann bewusst zugunsten der Befriedigung eigener Wünsche abgelegt.

Einige begründen ihre Forderungen recht lustig:
"Andere müssen auch sonntags arbeiten - da sollen sich die Verkäufer/innen mal nicht so haben."
Dabei verweisen sie auf Ärzte und anderes Krankenhaus- bzw. Pflegeheimpersonal, auf Polizisten oder auch Bahn- und Busfahrer.

Stimmt. Und natürlich gibt es da überhaupt keinen Unterschied zum Schuh- und Sockenverkäufer. (Das war Ironie; man muss es heute ja leider erklären.)

Aber die beste Begründung ist diese:
"Die hat sich den Beruf doch ausgesucht - sie wusste doch, welche Arbeitszeiten sie erwarten."
Okay, ihr Vertreter der Maxime "Der Kunde ist König", die ihr euch gleichzeitig in den Geschäften wie der hinterletzte Prolet aufführt - ich werde euch das mal erklären:

Die Verkäuferin, die sich ihren Beruf vor 20 oder 30 Jahren "ausgesucht" hat, konnte nicht ahnen, dass sie es einmal mit Dummvolk wie euch zu tun bekommen würde, das so wenig mit sich und seinem Leben anzufangen weiß, dass es unbedingt auch abends und nachts und sonntags durch die Geschäfte tapern zu müssen meint. Wegen euch steht sich die Verkäuferin mittlerweile bis 22 Uhr oder länger im Laden die Füße platt, und wegen euch muss sie fürchten, dass man ihr eines Tages auch den Sonntag noch nehmen wird. Mit sowas wie euch hat die Dame damals nicht rechnen können.

Und die Verkäuferin, die sich heute noch diesen Beruf aussucht? Kommt schon, ihr Königskunden, so dumm seid nicht einmal ihr!

Wer wird sich hinstellen und rufen
"Hier! Ich!"
wenn es um die Frage geht, wer Lust hat, bis zum späten Abend in einem Laden zu stehen, auch um 22 Uhr noch ein Lächeln für die nörgelnden, quängelnden und schlechtgelaunten Kunden (= ihr) zu haben, Regale einzuräumen oder abzustauben, stundenlang mit Rückenschmerzen an Supermarktkassen zu sitzen etc., und das alles mit der Aussicht, all diese "Freuden" bald auch noch auf den Sonntag ausgeweitet zu sehen?

Nein, da ruft niemand mehr freiwillig "Hier!". Wer sich das heute noch "freiwillig" antut, hat in Wirklichkeit aus dem einen oder anderen Grund keine andere Wahl.

Ach so, und noch etwas: Ein paar sehr Kluge unter euch dummschwätzen in diesem Zusammenhang gerne von den finanziellen Vorteilen - also bezahlte Überstunden, Zuschläge für "Spätdienste", oder auch der "Sonntagszuschlag".

Habt ihr mal die Frau im Supermarkt darauf angesprochen? Ich ja. Letzte Woche erst. Ergebnis:

Bis 22 Uhr ist der Laden geöffnet. In der Zeit ist sie für alles zuständig, so wie auch ihre Kollegen:

Waren einräumen, putzen, wenn Kunden etwas verschmutzt haben, zwischendurch Regale abwischen, Warenlieferungen entgegennehmen, Kundenfragen beantworten, an der Kasse sitzen...

Um 22 Uhr schließt der Markt. Offiziell. Denn die letzten Späteinkäufer unter euch sind natürlich erst um 21:59 Uhr in den Markt gekommen - und sooooo schnell lasst ihr euch nicht abfertigen! Wenn man die letzten von euch 20 Minuten später endlich los ist, hat man Glück gehabt. Danach müssen die Leute dort noch Kassenabschluss machen und den Laden aufräumen. Mit sehr viel Glück können sie um 23 Uhr gehen. Je nach Arbeitsweg sind sie dann vielleicht kurz vor Mitternacht zu Hause.

Überstundenzuschläge? Ist nicht.
Wenigstens Überstunden später abfeiern? Ist nicht. Alle Zeit, die sie nach 22 Uhr noch dort sind, geht verloren.
Zuschläge für Spätdienste? Ist nicht.
Zuschläge für Sonntagsarbeit? Ist nicht.

Weil: Sie wussten ja, worauf sie sich einließen. So die Begründung des Arbeitgebers, der auch gleich die entsprechenden Arbeitsverträge dazu ausgegeben hat.

Das ist euer Mann, stimmts? Trompetet so recht auf eurer Linie und nach eurem Herzen!


..............

Ach so, ihr erwartet jetzt einen Aufruf zum Abschluss? So eine Art Appell an euer Gewissen, oder die Mahnung zum Umdenken - irgendwas in der Art?

Warum, würde es denn etwas nützen?

Seht ihr - das dachte ich mir.