Freitag, 16. Juni 2017

Fronleichnam und die Radfahrer

Fronleichnamsprozession - gehen da eigentlich noch Leute mit? Ich meine nicht die in den paar deutschen Großstädten, wo man bequem in der Anonymität verschwinden kann, sondern jene Prozessionen in kleineren und mittelgroßen Städten, wenn man sich der Peinlichkeit aussetzen muss, von Freunden oder Kollegen dabei erkannt zu werden, wie man hinter einem Priester durch die Straßen läuft, der unter einem Baldachin eine Oblate vor sich her trägt.

Kannste eigentlich ja nicht mehr bringen, oder? Oder nicht? Oder doch?

Also, bei uns in der City (nicht die große City mit dem schnieken neuen Einkaufscenter, das die restliche Innenstadt aussterben lässt, sondern die kleinere City gleich nebenan, die früher mal eigenständige Stadt war), haben wir das gestern gemacht.

Da saßen wir auf unseren Bänken mitten auf der - abgesperrten - Straße vor dem Theater in der heißen Sonne, Alte und Junge (ja, gar nicht mal so wenige Junge, auch wenn die Alten überwogen), Eltern mit Kindern, die noch einmal stolz die Kleider und Anzüge ihrer Erstkommunion trugen, und außer Deutsch hörte man hier und da auch Polnisch und Spanisch.

Und vor uns wurde mit Pfarrer und Pater, Messdienern und Chor, eine Messe gefeiert.

Obwohl wir eine ansehnlich große Gruppe waren, erinnerte sich der Pfarrer doch auch an seine Jugendzeit als Messdiener, und an den damals rappelvoll gefüllten Marktplatz und die Prozession, die von dort zur Kirche führte. Heute hätten wir den Marktplatz nicht mehr gefüllt, und der Gang zur Kirche war, wie er es nannte, doch eher ein Prozessiönchen.

Also warum tut man sich das überhaupt noch an? Auch dazu hatte er etwas zu sagen.

Einerseits ginge es - wie er anhand eines vorangestellten Zitats von Charles Péguy erklärte - um das Gewohnheitstier Mensch und die Nichtakzeptierbarkeit einer "Gewöhnung" an die Eucharistie.

Ja, ich denke, das kann auch und vor allem jene treffen, die tatsächlich noch regelmäßig in die Messe gehen: Ein Empfang der Kommunion ohne ein Bewusstsein dafür, dass es hier wirklich Gott selber ist, der sich uns schenkt - ein Empfang der Kommunion quasi so ganz nebenbei, eben mal so mitgenommen, zwischen allgemeinem Händeschütteln, dem "kleinen Senfkorn" und einem genervten Blick auf den Schrägsänger nebenan.

Sich noch einmal bewusst machen, dass Gott unser Kumpan ist!

Wie, was? Kumpanei mit Gott? Ja, auf diese Übersetzung hätte ich selber kommen können:

Cum [lateinisch] = mit
panis = Brot

Der Kumpan ist also derjenige, der mit mir das Brot bricht.

Wow!

Als zweiten Grund nannte er uns den Terror und die Gewalt, die inzwischen auch in unsere Straßen eingedrungen sind, mit LKW und Messern, und die Hass und Angst säen wollen.

Dem können wir ein Zeichen entgegensetzen, indem wir stattdessen Gott auf die Straße und damit in die Welt tragen - und das an Fronleichnam ganz wörtlich.

Während wir dort saßen, kamen zweimal Radfahrer daher. Man muss sich das vorstellen: Sie fuhren auf dem nicht abgesperrten Radweg zwischen uns und der etwas erhöht gefeierten hl. Messe längs. Sie schauten weder rechts noch links, sie trugen Sonnenbrillen, Kappen, und Ohrstöpsel. Sie nahmen nichts von dem wahr, was gerade rechts und links von ihnen geschah, denn ansonsten hätten sie ja mindestens einen verwunderten Blick zur Seite geworfen. Stur geradeausblickend sausten sie an uns vorbei.

Es kam noch bizarrer: Ein Mann joggte vorüber. Auch er mit Kappe, Sonnenbrille und in seinem Fall überdimensionierten weißen "in"-Kopfhörern. Rechts von ihm die Messfeier. Links von ihm ca. 200 Menschen, auf Bänken sitzend, oder stehend. Er nahm nichts wahr. Schaute nicht links, schaute nicht rechts, hörte nichts, und fort war er.

Und ich denke mir, dass dies eine sehr gute Parabel ist für das tatsächliche Problem unserer Zeit:

Es sind nicht die Menschen, die Gott nicht wahrnehmen wollen, und auch nicht jene, die Gott rundheraus ablehnen. Beide hat es immer gegeben.

Unser Problem sind die vielen Menschen, die Gott nicht wahrnehmen KÖNNEN. Weil sie nicht mehr links und rechts von sich schauen können. Wie mit Scheuklappen gehen, nein rennen! sie durch ihr Leben, lassen sich vereinnahmen von der Schnellstraße vor sich, immer auf der Überholspur, immer unterwegs, angetrieben und getrieben, immer beschäftigt, unter Strom, in Bewegung - alles andere ist die Verliererstraße, wissen sie.

Wirklich?

Und dann?

Wenn die Straße zuende ist?

Was ist dann?

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