Dienstag, 11. November 2014

Denkt euch, ich habe St. Martin gesehen!

Er hatte graues Haar, trug einen "Blaumann" und hielt eine Heckenschere. Und eigentlich heißt er Josef und ist ein Kollege von mir.

Aber seit inzwischen über 25 Jahren "macht" er in seinem Heimatdorf den St. Martin. Er führt hoch zu Ross den Laternenumzug an, spielt die Mantelteilung nach und ist natürlich auch beim großen Abschlussfeuer dabei.

Irgendwie ist das schön.

Und irgendwie ist das traurig.

Wenn man nämlich hört, dass auch dort - "auf'm Dorf" - der Wahnsinn der politischen Korrektheit beginnt, Einzug zu halten. Nicht mehr "Martinszug" soll er heißen, der Martinszug, sondern "Laternenfest", auf dass niemand in seinen religiösen oder atheistischen Gefühlen verletzt werde. Und den Kindern erzählt man besser nichts mehr über den Heiligen. "Heilige" - nein, so spezifisch christlich darf man sich der Gesellschaft heute nicht mehr aufdrängen.

Stattdessen sollen die Kleinen, so der Vorschlag für die Zukunft, zum Laternenfest auf einen Laternenumzug geschickt werden, und vorneweg reitet halt so ein komischer alter Mann mit einem roten Umhang. Muss Kind ja nicht verstehen.

Und außerdem, so meinte St. Martin eben zu mir: "Wenn das so weitergeht, hat sich das Thema 'Martinsumzug' in spätestens 10 Jahren sowieso überholt, und wir haben stattdessen nur noch dieses bescheuerte Halloween, zu dem die Kids mit der Forderung 'Süßes oder Saueres!' an den Türen die Hände aufhalten!" Ja, St. Martin klang frustriert.

Ich überlege, welche Gründe es denn geben könnte, St. Martin verschwinden zu lassen, bzw. die Kinder nicht länger damit behelligen zu wollen? Schauen wir mal:

Ist St. Martin eine fromme Legende, ohne Wahrheitsgehalt? Nö.
Ist es ein gewalttätiger Lebenslauf, den dieser Heilige aufzuweisen hat? Nö.
Hatte St. Martin irgedwas mit Hexenverbrennungen, Galileo Galilei oder Kreuzzügen zu tun? Nö.
War er ein Protzbischof? Nö.
Ein Machtmensch? Nö.
Erlitt er einen so gewalttätigen Tod, dass man Kindern seine Geschichte nicht zumuten kann? Nö.

Wer war er denn, dieser Heilige, den man so gerne aus den Kinderköpfen verbannen möchte?

Ein Mensch, der Nächstenliebe und Mitleid und Teilen nicht nur anderen empfohlen, sondern es vorgelebt hat. Als Offizier, als Mönch, und als Bischof.

Nein, ich glaube, es ist gar nicht speziell Martin, der weg soll. Sein Pech ist, einer der wenigen bis heute im Volke verehrten und hochgehaltenen Heiligen zu sein. Die meinsten seiner Mit-Heiligen sind ja inzwischen nur noch einigen wenigen "Eingeweihten" bekannt. Damit sind sind sie bequem zu vernachlässigen (Hildegards Tees und Fastenkuren lässt man wohlwollend durchgehen) und ziehen keine größeren Angriffe mehr auf sich. Martin dagegen ist immer noch so... *schauder* ... entsetzlich öffentlich; quasi nach außen getragenes Christentum. Und das muss abgestellt werden. "Nimms nicht persönlich, Martin, altes Haus, es hat nichts mit dir zu tun, warst sicher ein feiner Kerl damals, zu deiner Zeit, aber dieses ganze christliche Heiligengedöne.... nee, weißt du, damit will man hier und heute niemanden mehr stören. Verstehst du doch, oder?"

Ich vermute, er versteht es nicht, der Heilige Martin.

Ich auch nicht. Und mehr noch: Ich akzeptiere es auch nicht.

Ich wünsche mir im Gegenteil, dass den Kindern weiterhin vom Heiligen Martin erzählt wird. Dass sie weiterhin anhand seines Beispiels von Mitleid und Teilen hören. Und dass sie weiterhin zur Verehrung des Heiligen laternentragend und singend durch die Straßen ziehen, anstatt eine gute Woche früher "Süßes oder Saures!" zu brüllen.

Ich wünsche mir, dass wir alle heute und jeden Tag ein bisschen St. Martin sind. So in Bezug auf Mitleid und Teilen, naja, ihr wisst schon...

"Süßes oder Saures!" wird in dieser Welt schon genug gebrüllt. Ein wenig St. Martin als Kontrapunkt wäre schön. Heute und immer, und sowieso und überhaupt.

Und darum:
Lasst euch nicht einreden, dass unser Heiliger Martin jemanden beleidigen könnte! Und lasst nicht zu, dass man ihn den Kindern vorenthält!

Ich gehe nachher zu Hause in den Keller und hole eine alte Laterne heraus. Die hänge ich heute Abend ins Fenster. Wegen Sankt Martin. Nicht wegen Laternenfenst, oder Sonne, Mond und Sterne.

Und ihr?



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