Sonntag, 5. April 2020

Schokoeis und Gottesdienst

Ich habe ein paarmal zu diesem Post angesetzt; immer mit vielen "wir" und "uns" und "man", bis ich verstand: Hier darf es einmal nur um mich gehen, hier spreche ich einmal ganz subjektiv für mich. Es sind meine ganz eigenen Gedanken, Gefühle und Einschätzungen, und wenn ich damit falsch liege, darf ich mich weder hinter einem obskuren "man" verstecken noch ungefragte und ungenannte "wir" und "uns" mit einbeziehen.

Corona mit allem, was bis heute dazugehört, hat mich überrollt. Vielleicht ist so manch anderer schneller, sowohl was das emotionale Verarbeiten als auch was das kritische Hinterfragen angeht. Ich aber habe mich in diesen letzten zwei Wochen erst einmal in ein emotionales Schneckenhaus zurückgezogen und frag- und klaglos alle Entscheidungen hingenommen, die für uns getroffen wurden, als da wären: Kontaktsperre, #stayathome, geschlossene Läden, Home Office, abgesagte Veranstaltungen, Verbot von Gottesdiensten usw. Nur Systemrelevantes sollte aufrechterhalten bleiben.

Das alles erschien mir, vor allem mit Blick auf Italien, erst einmal uneingeschränkt richtig. Und das tut es immer noch. Wenn da nicht diese eine Sache wäre...

Aber zuerst einmal möchte ich fragen:
Was heißt das eigentlich - "systemrelevant"?
 Der Duden antwortet mir mit:
"für das System bedeutsam"
 Und das sagt der Duden zum "System" an sich:
"Form der staatlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Organisation"
Systemrelevant ist also, so übersetze ich mir das, was den Staat, die Wirtschaft und die Gesellschaft am Leben erhält.
Was den Menschen am Leben erhält.
Was mich am Leben erhält.
Der gesamte medizinische und pflegende Bereich, die Lebensmittelversorgung, Wasser, Strom, Müllabfuhr, die Banken usw.

Das leuchtet mir ein.

Doch eine Frage blieb:

Warum hat niemand in der Politik auf den Protest der Kirchen gehört, als man sie kurzerhand als nicht systemrelevant abschob?

Wie? Was? Es hat niemand protestiert? Kein Bischof? Weder bei Katholens noch bei Evangelens?

Da bin ich ins Grübeln gekommen.

Dass unser Staat Messen und Gottesdienste als nicht systemrelevant einstuft, nehme ich ihm nicht übel. Der Staat sieht auf Kirchen zu Coronazeiten erst einmal als Versammlungsorte, die ebenso zu schließen sind wie öffentliche Grillplätze im Stadtpark.

Den Einspruch aber erwarte ich von meiner Kirche. Und dort er ist ausgeblieben. Der Staat hat entschieden:
"Eure Messen und Gottesdienste sind nichts, was das System - was der Mensch - lebensnotwendig braucht."
Und unsere Hirten haben genickt und sind nach Hause gegangen.

Ich will ehrlich sein: Anfangs empfand ich das nicht als schlimm. Plötzlich gab es massenweise Messen und Gottesdienste im Fernsehen oder online im Livestream, Gebetstreffen im Internet - wer brauchte da noch den Gang in die Kirche, die Gemeinde, die tatsächliche Eucharistie?

Ich.

Weil es für mich in einem anderen Wortsinne "über-lebens-wichtig" ist, nämlich über mein Leben hinaus wirkend.

Den Supermarkt und mein Büro darf ich weiterhin betreten. In der Bäckerei und in der Eisdiele darf ich mich in die Verkaufsschlange stellen. Weil dies alles als systemrelevant gilt, weil man mir den gesunden Menschenverstand zutraut, den nötigen Abstand einzuhalten, weil entsprechende hygienische Vorkehrungen getroffen werden.

Ist mein Glaube weniger wert als ein Schokoeis mit Sahne?

Unsere Hirten scheinen dieser Meinung zu sein.

1 Kommentar:

  1. Mir geht es ähnlich wie Dir.
    Wobei ich eher umgekehrt frage: Warum sind Eisdielen und Süßkramläden eigentlich systemrelevant? Bricht die Gesellschaft zusammen, wenn es zu Ostern keine Blätterkrokanteier gibt? Ich fände das zwar sehr bedauerlich, aber ernsthaft: Systemrelevant?
    Wie systemrelevant Kirchen sind, merkte ich übrigens heute nachmittag, als ich zur stillen Anbetung in die Kirche ging. Normalerweise finden sich da auch sonntags nicht allzu viele Leute. Jetzt standen sie Schlange, weil nicht mehr als zehn auf einmal in der Kirche sein sollten.
    Vielleicht wird uns die Relevanz der Kirche gerade besonders klar.

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