Mittwoch, 4. Juli 2018

Notizen zu Rom

Als ich 2014 zum ersten Mal nach Rom kam, ging es mir in mancherlei Hinsicht sehr schlecht.

Im Jahr zuvor hatte ich meine Schwester verloren. Zwei Jahre lang hatte ich hilflos zusehen müssen, wie aus einem gesunden und aktiven Menschen jemand wurde, der am Ende fast bewegungsunfähig im Rollstuhl saß.

Kann man das jemals ganz verarbeiten? Ich weiß es nicht. Ich habe heute noch Momente, in denen diese Ungläubigkeit darüber auftaucht, dass sie nicht mehr da sein soll. Niemals wieder wird es in deinem Leben einen Menschen geben, der dich besser kennt als deine Eltern oder ältere Geschwister, die dich seit deiner Geburt begleitet haben.

Nach ihrem Tod hatte es Ärger mit den Versicherungen gegeben. Noch mehr Stress und dazu auch finanzielle Belastungen. Nicht immer sind private Versicherungen eine gute Sache.

Und um allem die Krone aufzusetzen, kriselte es bei meinem damaligen Arbeitgeber. Wir verstanden uns zwar immer noch blendend, aber so schwer mir der Abschied fallen würde, ich wusste, ich würde mir in absehbarer Zeit eine neue Stelle suchen müssen. Nach über 20 Jahren ist das nicht nichts, wie ein Freund sagen würde.

Was macht man also, wenn man seelisch angeschlagen, nervlich fertig mit der Welt und die finanzielle Lage mehr als angespannt ist?

Man hält seine restlichen paar Euro zusammen und macht Urlaub im heimischen Garten, so wie in den Jahren zuvor.

Oder... ja, oder man haut seine restlichen Euros auf den Kopf, indem man sich einen Flug nach Rom und ein Zimmer für eine geschlagene Woche in einem Luxushotel nahe des Vatikans bucht.

Rom sehen und - nein, nicht sterben, so weit war es denn glücklicherweise nicht. Aber es war eine dieser Situationen, in denen man einen Traum verfolgen musste, auch wenn Zeitpunkt und vor allem Umstände völlig dagegen sprachen.

Warum ist es seitdem immer wieder Rom, auch, wenn es mich zwischendurch auch an andere Orte verschlägt?

Rom ist schmutzig, Rom ist laut, Rom ist wuselig und voller Touristen, Rom ist alt und voller kaputter Steine, und Rom ist ganz sicher keine Wohltat für Füße und Schuhwerk.

Aber es ist wohl eben dieser Irrsinn einer uralten Stadt, gepaart mit einem wundervollen Hotel, in dessen Garten man sich abends bei einem Glas Wein vom Trubel des Tages erholt, um anschließend dem Zubettgehen noch einmal über den nächtlichen Petersplatz zu gehen, es ist diese Mischung, die mich innerlich so zur Ruhe kommen lässt, wie an keinem anderen Ort.

Und deshalb bin ich also seit 4 Jahren in Sachen Romreise ein "Wiederholungstäter".

Körperlich todmüde, aber die Nerven hören nach 24 Stunden zu vibrieren auf und der Kopf kommt zur Ruhe. Ich wünsche jedem Menschen einen solchen Ort.

Rom, die Ewige und damit Unveränderliche? Nein, wohl eher nicht. Auch hier ist vieles im Wandel.

Ich kenne die Via della Conciliazione - die Prachtstraße, die zum Petersplatz führt - noch mit regem Autoverkehr. Inzwischen ist sie für Autos gesperrt, nur zugänglich für Taxen und natürlich die Polizei. Einerseits angenehm, andererseits ein etwas gespenstischer Anblick.

Die vielen Straßenrestaurants des Borgo Pio kenne ich noch als im Sommer allabendlich bis fast auf den letzten Tisch gefüllt. Heute bleibt ein Großteil der Tische leer. Überfüllt ist es nur im neuen McDonalds am Ende der Straße. Selbst die afrikanischen Straßenverkäufer scheinen bemerkt zu haben, dass hier nichts mehr zu holen ist und haben sich andere Plätze gesucht, um ihr Kinderspielzeug und ihre Schnitzereien zu verkaufen. Wer hat eigentlich ernsthaft geglaubt, dass ein Fastfood-Restaurant an dieser Stelle eine gute Idee sei? Wie um zu beweisen, dass sowas von sowas kommt: Seit Mittwoch ist McD wegen Renovierung geschlossen - und voilà, schon haben die Straßenrestaurants wieder zu tun wie früher.

Die politische Landschaft ist rechter geworden. Nach den Wahlen musste die brandneue Partei "Cinque stelle" (Fünf Sterne) eine Koalition eingehen, um eine Regierung bilden zu können. Und nun wollen die EU-Gegner zusammen mit der Lega Nord also das Land retten. Die Lega, das ist so etwas wie die AfD Italiens, nur schlimmer.

Wie murmelte die italienische Bettlerin damals vor sich hin, als ich deutsch sprechend mit einer Freundin an ihr vorüberging:
"Fascisti - buonanotte!"
(Faschisten - gute Nacht.)
Naja, da möchte man heute etwas böse antworten, dass Italien seine Faschisten immer schon recht erfolgreich selbst aufgezogen hat.

Aber was red' ich - das Beste an Rom sind eh seine Ausländer. Da gibt es schöne, schräge und schrille Begegnungen.

Schräg ist es zum Beispiel, in der deutschen Abteilung eines vatikanischen Buchhandels einen in Ialien lebenden Brasilianer zu treffen, der in wenigen Wochen zum Studium nach Bonn geschickt wird und sich nun fragt, ob er den Schott billiger hier oder in Deutschland kauft.

Schön ist es, in einem kleinen Schmuckladen eine seit 16 Jahren in Italien lebende Albanerin mit griechischen Papieren zu treffen und gute 2 Stunden mit ihr über Albanien, Italien und Berlin zu erzählen. Berlin, weil ihre Schwester dort heute lebt. Sie war begeistert, jemanden zu treffen, der in Albanien Urlaub gemacht hatte und sich ein Jahr drauf noch auf Albanisch bedanken konnte.

Angst hat sie bis heute. Aufgewachsen in einer Diktatur, die nur mit der Nordkoreas vergleichbar war. 15 Jahre ohne Papiere in Italien. Seit einem Jahr also mit griechischen Papieren. Endlich ohne Angst, dass der Staat - irgendein Staat - ihr noch etwas anhaben könnte? Nein, sagt sie. Lebenslange Angst, die legt man nicht einfach so ab. Die bleibt einem.

Heute höre ich, dass es mehrere Erdbeben in Albanien gegeben hat, mit Durres in der Nähe des Epizentrums. Dorther stammt sie, und dort lebt ihre Mutter heute noch. Ich hoffe, es ist alles gutgegangen.

Ach ja, und die schrillen Ausländer... da hatte ich ein paar filmreife Momente in Roms Kirchen:

Eine Kirche hat kurz hinter dem Eingang einen Aufsteller, der eine durchgestrichene Kamera zeigt. Bei genauerem Hinsehen bzw. LESEN, erfährt man, dass hier lediglich nicht gefilmt werden darf. Fotografieren ist erlaubt. Ihr glaubt nicht, wie viele Touristen ich erlebt habe, die hineinkommen, das Schild sehen und auf dem Absatz kehrtmachend wieder hinausgehen! Einer der schönsten Kirchen Roms, aber "wenn ich hier nicht knipsen darf, dann will ich auch nichts anschauen!".

Eine andere Kirche, berühmt für ihre Deckenmalerei. Ich stehe innen, neben dem Hauteingang, als eine Gruppe Touris durch die Türe hineinkommt. Gleich hinter dem Eingang ist es, als gäbe jemand unhörbare militärische Kommandos:
"Ganze Kompanieeeee Stop! - Zückt die Smartphones! - Augen deckenwärts! - Hebt die Smartphones! - Alle zugleich: Schieeeeßt!"
Kann man das noch krönen? Oooooh ja, man kann:

Ein Besuch auf dem Campo Santo Teutonico. Der deutsche Friedhof, und ein Friedhof mit einer eigenen Website:

http://www.camposanto.va/content/camposantoteutonico/de.html

Deutsche bitten die Schweizer Garde auf deutsch um Einlass und werden nach Kontrolle in der Sicherheitsschleuse auf das ansonsten abgeriegelte Gelände gelassen. Besuch unbedingt empfehlenswert.

Heute dann eine Gruppe deutscher Jugendlicher. Sie betreten das Gelände des Friedhofs. Gucken kurz. Einer ruft:
"Ist denn hier niemand berühmtes begraben? So wie Thomas Müller oder so?"
"Der lebt doch noch."
"War doch nur'n Beispiel." 
Und Abgang Jugendliche.
"Herr, schmeiß Hirn vom Himmel, denn es ist kein Regen angesagt - alle sind ohne Schirm unterwegs!"
Ja, soweit meine derzeitigen römischen Notizen. Andere Geschichten verlangen eigene Blogbeiträge, diese folgen dann von daheim, ebenso Fotos.

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