Ausgerechnet Albanien! Wie kommt man denn auf Albanien?
Sowas passiert, wenn eine Freundin dort seit 8 Jahren lebt und arbeitet und eines Tages meint: "Komm' doch einfach mal vorbei!" Und als impulsiver Mensch sagt man dann eben nicht "Ich denk' mal drüber nach.", sondern man antwortet "Wann soll ich kommen?".
Was wusste ich über Albanien? Das ist leicht zusammengefasst: N.I.X.
Bilder im Kopf hatte ich natürlich eine Menge:
Alles Verbrecher. Zustände wie im Dritte-Welt-Land. Gefährlich. Schmutzig. Bin ich ausreichend geimpft?Um es kurz zu machen: Ich war nicht ausreichend geimpft. Der Impfstoff gegen die menschliche Borniertheit wurde halt noch nicht gefunden.
Aber wie erzähle ich nun von einem Land, das so schwer zu erfassen ist, und das so unterschiedliche Facetten bietet, wie noch kein Land, in dem ich bisher war?
Ich fange einfach mal an, wir sehen dann schon.
Aufgrund der anhaltenden Unwetter über Westeuropa landeten wir erst gegen 2 Uhr in der Nacht. Da steht man doch leicht neben sich und ist froh, dass die Einreisekontrolle schnell und mit einer einzigen freundlichen Nachfrage, ob es mein erster Aufenthalt in Albanien sei, abläuft.
Auf dem Weg zum Parkplatz die erste Begegnung mit der immer noch heißen Nachtluft. Laut meiner Freundin kennt man dort die auch im Sommer nachts kühler werdende Temperaturen unserer Breiten nicht. Man würde sich aber daran gewöhnen und es mit der Zeit lieben lernen.
Um das Thema Wetter kurz abzuhandeln: Wir hatten Glück, denn trotz der hochsommerlichen Temperaturen sorgten Wolken und ein kräftiger Wind dafür, dass man es gut aushalten konnte.
Die Straße vom Flughafen in die Innenstadt Tiranas ist brandneu, festlich ausgeleuchtet und mit jungen Bäumen bepflanzt. Ich erfuhr, dass sie für den Besuch von Papst Franziskus im Jahr 2014 so hergrichtet worden war, so wie auch einige andere Teile der Stadt, die damals einen guten Eindruck des Landes nach außen vermitteln sollten.
Ja, ich denke, hier muss ich unterbrechen und euch mit den ersten drei Atemzügen Geschichte langweilen. Obwohl: "Langweilig" war sie nicht, die Geschichte Albaniens. Leider, muss man wohl sagen. Ich werde mich kurz fassen, also lest bitte nicht über den folgenden Abschnitt hinweg, denn vieles ist ohne das Wissen um die jüngere Geschichte nicht verständlich.
Albanien erlebte zwischen 1944 und 1990 eine kommunistische Diktatur, die man in all ihren Auswüchsen und totaler Abschottung (sogar von Ländern wie Russland und China, die dem Diktator Hoxha nicht kommunistisch genug waren) nur mit Nordkorea vergleichen kann. Verhaftungen, Folter und eine totale Überwachung waren das tägliche Brot, und ein anderes gab es kaum, denn durch die völlige, auch wirtschaftliche Abschottung, herrschten bitterste Armut und, ja, auch Hunger.
"Eher werden wir Gras essen, als klein beizugeben!", sagte Hoxha, als Russland die Kornnlieferungen einstellte.Markige Worte, wie man sie gerne von Diktatoren hört. Natürlich beschränkt sich das "wir" dabei stets auf das Volk, nicht jedoch auf den Diktator selbst.
Erst mit den Umbrüchen in Ländern wie z.B. Ostdeutschland, und Hoxhas Tod 1985 (auch Diktatoren sind sterblich, Gottseidank), war seinem Nachfolger klar, dass er das System nicht würde aufrechterhalten können. Es kam zu Aufständen gegen die Regierung, und letztendlich wurde das Land zu einer parlamentarischen Demokratie.
Mit wie wenigen trockenen Sätzen man doch auch die dramatischsten Zeiten zusammenfassen kann. Doch warum ist es wichtig, dies zu wissen?
Ich glaube, ohne dieses Wissen muss der Blick auf Land und Leute ein extrem verfälschter sein.
Man schaut anders auf Dinge wie die Korruption im Land, auf die vielerorts immer noch große Armut, auf das "Window-dressing" einiger Prachtviertel im Zentrum der Hauptstadt, ja, und auch auf das Verhalten der älteren bis mittelälteren Generation. Denn man versteht, wie weit dieses Land schon in relativ kurzer Zeit gekommen ist, und dass man Geduld haben muss, was den weiteren Weg angeht.
Kehren wir doch einmal zu Nordkorea zurück: Viele von uns haben inzwischen eine Vorstellung davon, wie es dort dem normalen Bürger ergeht. Er wird gelenkt. Das eigene Denken wurde vor langer Zeit abgeschafft, der Große Führer ist Gott und Vater zugleich. Jeder, der auch nur um die kleine Zehe vom Weg abzuweichen wagt, verschwindet in Lagern, aus denen niemand wiederkehrt.
Und nun stellt euch vor, dieses System würde zusammenbrechen.
Wir alle würden es diesem Land wünschen. Aber die geistigen und seelischen Krüppel, die es zurücklässt, sie werden auch nach Jahrzehnten nicht geheilt sein. Glaubt irgendjemand, das bloße Ausrufen einer Demokratie in einem solchen Land würde ausreichen, um innerhalb weniger Jahre "blühende Landschaften" zu erschaffen?
Die Gräuel der vergangenen Jahrzehnte wollen aufgearbeitet werden. Und genau hier gebührt Albanien ein Riesenlob: Dieser Aufarbeitung begegnet man überall. Ehemalige Bunker ( Diktatoren sind alle auch krankhaft paranoid, wir sehen es erst in heutigen Tagen wieder am Beispiel Erdogans) werden zu Geschichtsmuseen, die "Stasi"-Zentrale mit all ihren Überwachungsmethoden werden der Öffentlichkeit zugänglich, die Namen aller Verfolgter, Gefolterter und Ermorderter an Gedenkstätten öffentlich gemacht.
Und diese öffentliche Aufarbeitung wird genutzt. Massenhaft. Man stellt sich der eigenen Geschichte. Das ist zu bewundern. In Deutschland mehren sich nach der gleichen Zeitspanne die "Ostalgiker". In Albanien erzielte die kommunistische Partei bei den letzten Wahlen 200 Stimmen. Landesweit.
Die Geschichten aus der Zeit der Diktatur laufen einem aber auch nach. Da ist das junge Mädchen, das gefoltert wurde, bis es den Verstand verlor. Einzelheiten will ich uns ersparen. Da ist die Geschichte eines Mannes, der auf dem Markt ein Wort über den schlechten Zustand der angebotenen Kartoffeln verlor und daraufhin eine "Hausbesuch" erhielt, denn er habe die Versorgung der Bürger durch den Staat kritisiert. Der Mann "verschwand".
Habe ich denn während der Tage in Albanien nur Unterricht in der schrecklichen Geschichte des Landes genommen? Natürlich nicht, im Gegnteil. Aber die Geschichte ist auch in alltäglichen Dingen allgegenwärtig und deshalb ein notwendiger Part, um all das Schöne und Gute des Landes anzuerkennen, und, was noch wichtiger ist, um all das Schlechte zumindest verstehen zu können.
Wie muss man sich freuen, wenn man die junge Generation erlebt, weltoffene Studenten, die mit einem guten Schuss Selbstironie von ihrem Land sprechen - die ersten Albaner seit langer Zeit, für die Angst nicht von Kindesbeinen an der ständige Begleiter des täglichen Lebens war.
Wir waren in Patok, einer Lagune am Meer. Ein "Geheimtipp, auf den sogar Insider erst nach Jahren durch einen reinen Zufall stoßen. Dort reihen sich Restaurants wie Perlenschnüre am Wasser aneinander. Sagte ich "AM Wasser"? Es muss wohl eher "IM Wasser" heißen, denn statt teure Restaurantgebäude zu errichten (die sich niemand leisten kann), hat man eine Anreihung kleiner Holzhütten auf Pfähle ins Wasser gesetzt, mit Stegen verbunden. Jede Hütte ist mit einem Tisch und Stühlen eingerichtet, hat Tür und Fenster, und so hat jede Besuchergruppe ihr eigenes kleines Restaurant ganz für sich. Inklusive ist am Abend die "Sonnenuntergangsparty": Das Beobachten, und natürlich Filmen, eines Sonnenuntergangs, wie es ihn eben nur am Meer geben kann.
Ach ja, der am gleichen Tag gefangene Fisch, der dazu serviert wird, ist... ach, da vergehen sogar mir einfach die Worte.
(Nebenbei: Natürlich habe ich eine Menge Fotos gemacht. Die werde ich aber erst sortieren und hochladen, wenn ich wieder zu Hause bin.)
Für heute soll es gut sein. Dann soll mein Reisebericht halt einen zweiten und vielleicht auch dritten Teil bekommen.
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