Sonntag, 8. Juni 2014

Heuchelei

mag ich eigentlich nicht so besonders. Und trotzdem, wie ich kürzlich schon einer Freundin gegenüber zugab, komme ich mir in letzter Zeit etwas heuchlerisch vor. Ungefähr so, wie die Frau, die ihrer Freundin rät, jetzt doch wirklich mal mit dem Rauchen aufzuhören - "Denk doch an deine Gesundheit! Und überhaupt, was das kostet!" - um sich dann allein für sich im stillen Kämmerlein selbst eine Camel anzustecken.

"Pfeiffer, Sie faseln!"

Na, ganz so schlimm ist es nicht. Ich zäume nur das Pferd mal wieder von hinten auf. Und dieses Pferd heißt - wieder mal - Facebook.

Ich hatte mich ja vor nicht wirklich allzu langer Zeit ziemlich großartig von Facebook verabschiedet. Und hatte stattdessen diesen Blog gestartet. Und es genossen (das tue ich übrigens immer noch), "draußen" wieder meine Umwelt statt nur die Oberfläche meines Smartphones wahrzunehmen.

Trotzdem mehrt sich in der letzten Zeit mehr und mehr das Gefühl, ein Heuchler zu sein:

Mein Blog z.B. macht mir viel Spaß. Und obwohl er erst eine Handvoll Beiträge hat, wurden diese inzwischen insgesamt unglaubliche 600 (!) Mal angeklickt. (Sorry, aber das haut mich immer noch ein wenig aus den Sandalen.) Und wie wäre seine Verbreitung, wenn ich nicht jeden Beitrag bei Facebook verlinkt hätte? Seien wir ehrlich: Ich müsste mindestens eine Null streichen.

Und was mache ich, wenn ich online einen mir wichtigen Artikel entdecke, den ich gerne verbreitet wüsste? Ja, genau: Ich verlinke ihn zu Facebook.

Und wie bleibe ich mit einigen meiner Freunde in Verbindung? Indem ich weiterhin über die PN-Funktion bei Facebook erreichbar bin.

Inzwischen, denke ich mal, ist klar, was ich mit "Heuchelei" meine. Und ich glaube auch, dass man mir da zustimmen muss, wenn ich mein Verhältnis zu Facebook derzeit so einschätze.

Was macht das jetzt mit mir?

Schwierig. Einerseits bin ich immer noch der Meinung, dass FB eine nachhaltigere Diskussionskultur zerstört, ebenso wie ein ernsthaftes und anhaltendes Beschäftigen mit einem Thema. Einerseits denke ich immer noch, dass FB manche Menschen dazu verführt, sich im ständigen Daddeln, Liken, Posten zu verlieren bzw. vor ihrem Leben dorthin zu flüchten. Einerseits...

Und andererseits sehe ich, dass ich derzeit keine Platform kenne, die eine schnellere Verbreitung von Informationen, Themen und Anliegen ermöglicht, als eben dieses Facebook. Ich sehe - nur mal so als Beispiel herausgegriffen, weil es mich so faszniert - die FB-Seite My Stealthy Freedom der Exil-Iranerin Masih Alinejad, die dort Fotos iranischer Frauen einstellt (natürlich immer mit deren Erlaubnis), die in kleinen Momenten "heimlicher Freiheit" ihren vom Staat aufgezwungenen Schleier abgelegt haben und sich so fotografieren ließen. Diese Seite hat eine Eigendynamik und eine weltweite Verbreitung gefunden, und das in sehr kurzer Zeit, die auf andere Weise so wohl unmöglich gewesen wäre. Man darf jedenfalls gespannt sein, wohin das führt.

Okay, und was nun?

Ganz einfach: Ich erkläre das Projekt "Rückzug" hiermit für beendet. Und ziehe folgendes Fazit:

Ohne meinen zeitweisen Rückzug gäbe es meinen Blog nicht. Schon dafür hat es sich gelohnt.

Und ich habe bemerkt, wie sehr FB einen Menschen vereinnahmen kann - ich werde auch nach dem Rückzug vom Rückzug eindeutig wesentlich weniger dort aktiv sein als vorher.

Ja, so ist das.






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