Ein paar Gedanken über meine Mitmenschen, ausgelöst von den öffentlichen (Online-) Reaktionen zur erneuten Verhaftung Meriam Ishags im Sudan.
Ich hatte ja heute hier über die schlechten Nachrichten aus dem Sudan geschrieben. Montags ihre Freilassung, doch Dienstag, weniger als 24 Stunden später, die ersten Kurzmeldungen, Meriam und ihre Familie seien am Flughafen verhaftet worden. Nachrichten und Weblinks wurden (auch von mir) online gestellt.
Klar, der Großteil der Reaktionen spiegelte meine eigenen Gefühle: Entsetzen, Hilflosigkeit, Wut, Enttäuschung, und anfangs auch Ungläubigkeit (= Vielleicht ist es ja doch nur eine 'Ente'?).
Aber es gab auch andere.
Da waren jene, die 'es' vorher gewusst hatten. Die Abgeklärten, die mir mit Bemerkungen wie "war zu erwarten" und "das war klar" und "hab ich vorausgesehen" meine ganze naive Gutgläubigkeit um die Ohren hauten. Während wir anderen uns seit dem Vortag über die Entlassung Meriams aus der Todeszelle gefreut hatten, hatten diese Leute genau gewusst, dass man sie am nächsten Tag wieder ins Gefängnis werfen würde, und ihre Familie gleich mit. Da schwingt die Anklage mit: "meine Güte, was seid ihr weltfremd!"
Ich fühle mich von so viel Abgeklärtheit überrumpelt. Ist die echt? Oder wollen diese Leute nur nicht zugeben, dass sie sich ebenso hilflos und enttäuscht fühlen wie ich? Und wenn sie echt ist: Ist sie beneidens- oder bedauernswert?
Und da waren die anderen, die sogleich genau die Fehler benennen konnten, die Meriam, ihre Familie, ihre Anwälte im Sudan begangen hatten:
Warum waren sie nicht sogleich in die US-Botschaft geflohen? (Dies, obwohl niemand wusste, WO sich die Familie nach Meriams Entlassung aufgehalten hatte - es war nur von einem "sicheren Haus" die Rede, was durchaus auch die US-Botschaft hätte sein können.)
Warum hatte sie versucht, das Land zu verlassen? Sie hätte doch wissen müssen...
Ihre Anwälte hätten sicherstellen müssen, dass sie korrekte Papiere hatte...
Warum hat sie nicht... warum hat sie... hätte sie doch... Fast schon ist es mystisch, welche Einblicke Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel hatten, die Meriam selbst (ebenso wie ihrer Familie und den Anwälten) völlig verborgen waren.
Oh ja, natürlich, nicht zu vergessen: Das Hammerargument. Der Totschläger schlechthin. Das ließ auch nicht lange auf sich warten:
Alle Religion ist schlecht, und erst mit ihrer generellen und vollständigen Abschaffung wird der Mensch frei und glücklich.
Ja, nee, schon klar.
Ohnmacht, "Hilflosigkeit", wie Du sagst, auszuhalten, ja eben, man muß sie wirklich aushalten. Mit vermeintlichen Lösungen kann man sich über das Mitleiden ganz gut hinwegmogeln. Geht mir zumindest oft so.
AntwortenLöschenGitta