"Sie sind ein sehr dämlicher Mensch."Zugegeben, diplomatisch war das nicht. Aber die Wahrheit. Und zum Diplomaten habe ich ohnhin nie getaugt.
Meist sage ich nichts mehr dazu, wenn sich im Zug mit den Schuhen auf den Sitzen gelümmelt wird. Diesmal rutschte mir aber doch ein resigniertes
"Muss das sein?"heraus. Die Antwort war interessant:
"Muss das sein, dass der Zug 15 Minuten Verspätung hat?"Die Logik dahinter wäre demnach: Als Fahrgast lege ich eine Ratio fest zwischen der Höhe einer Zugverspätung und dem Absenken meines Benehmens.
Wir diskutierten dies - in völlig ruhigem Tonfall - noch eine halbe Minute, wobei er zwischenzeitlich sogar seine Schuhe auszog - nicht, um sie mir an den Kopf zu werfen, wie ich einen Moment befürchtete, sondern um mir die Schuhsohlen als Beweis entgegenzuhalten, dass sie viel zu sauber seien, um die Sitze zu verschmutzen.
(Ich denke mir das nicht aus.)
Der Versuch, eine gemeinsame logische Basis zu finden, endete in meiner obigen Aussage sowie dem Vorschlag meines Gesprächspartners, ich möge mich doch um meinen eigenen Scheiß kümmern.
Ich beließ es dabei. Am Endbahnhof angekommen, preschte unser Ausbund an Logik davon, nicht ohne sich dabei rücksichtslos durch die Massen zu drängen. Offensichtlich erlaubt eine Zugverspätung ab einer gewissen Höhe, das eigene Benehmen auch außerhalb des schuldhaften Zugabteils dauerhaft abzusenken.
Ich wurde nachdenklich. Wie war es denn so bestellt um die Logik in meiner Umgebung?
Einige Beispiele habe ich hier gesammelt:
- Morgens
im Einkaufscenter. Ein Alarm - eine Durchsage forderte Personal
und Besucher auf, das Gebäude umgehend zu verlassen. Ich hatte gerade
eine Zeitung kaufen wollen, ließ diese liegen und ging durch den
Kassenbereich nach draußen. Dort lagen Waren auf dem Kassenband, und
daneben standen Kunden, die forderten, doch noch schnell ihre Waren
bezahlen und mitnehmen zu können.
Eine völlig logische Handlungsweise, denn selbstverständlich wird ein potentielles Feuer jeden verschonen, der eigentlich schon vor dem Gebäude stünde, würde er nicht gerade noch Toastbrot und Nutella einpacken.
- Auf einem Bücherflohmarkt hatten sich zwei Fernsehverächterinnen gefunden. Das klang dann so:
"...wenn man theoretisch das Fernsehen einschalten würde..."
"...eh alles manipulativ, geht gar nicht..."
"...und die Privaten mit ihrer ganzen Werbung, das geht ja noch weniger..."
Nein, ich weiß nicht, wie man einen Fernseher nur theoretisch einschaltet, oder wie ein Weniger von Garnicht aussehen könnte.
Eine erzählte dann noch, dass sie es mit Büchern halten würde wie mit Kleidungsstücken: Für jedes neu gekaufte müsste ein altes weg.
Mich schauderte. Ich packte meine eigenen bis dahin gefundenen Buchschätze fester und ging schnell davon. Zu Hause versicherte ich ihnen, dass es ihnen bei mir gut ergehen würde, zumindest bis an mein - hoffentlich - seliges Ende.
- Beim Bio-Bäcker verlangte
ein älterer Herr ein Emmerbrot. Oh, die seien leider schon verkauft, ob
es denn vielleicht ein Brot aus Kamutmehl sein dürfte? Der Mann zögerte.
Es müsse halt auf jeden Fall aus einem alten Getreide sein, sagte er
dann.
Ach was.
(Ich hätte gefragt "Mit Schimmel oder ohne?")
- Zucker gibt es im Bioladen ebenso wie im normalen Supermarkt zu kaufen. Im Bioladen im Plastikbeutel, im normalen Supermarkt in Papierverpackung.
- Supermärkte retten die Welt, indem sie Biokaffee in Alu-Portionskapseln packen und Einkaufsnetze statt Plastiktüten für bereits in Plastik vorverpacktes Obst und Gemüse verkaufen.
- Dass ein anderer Supermarkt Kaffeepulver mit Schwarzwälderkirschtorten-Aroma anbietet, erwähne ich hier außer Konkurrenz - das hat nichts mehr mit mangelnder Logik zu tun, sondern ist schlicht ein Verbrechen.
- Auf der Straße redet eine Teenagerin heftig auf eine andere ein. Ich höre
"...egal, was er tut, noch mal komme ich nicht zurückgekrochen!"
Ein lobenswerter Entschluss. Allerdings frage ich mich, was um Himmelswillen sie denn beim ersten (und hoffentlich einzigen) Mal bewogen haben mag, zu ihrem Typen "zurückzukriechen".
- "Deutsche fangen Mücken für die Wissenschaft."
Nicht plattgeschlagen, sondern heil unter einem Glas eingefangen, zur Tötung mitsamt Glas eingefroren, sind die Mücken bitte anschließend in bruchsicheren Gefäßen und mit korrektem Adressaufkleber auf eigene Rechnung an das
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung e.V.zu verschicken, um sich anschließend in die "Karte der Sammler" eintragen zu dürfen.
Wirklich interessant wird es aber erst, schaut man sich die Rubrik
"Häufig gestellte Fragen"
einmal näher an:
"Wie erkenne ich eine Stechmücke?"
An den juckenden, roten Quaddeln auf Beinen und Armen, der vorher durchwachten Nacht, und an ihrem diabolischen Grinsen?
"Kann ich bereits tote Mücken einsenden?"
Schätzelein, mit lebendigen würde das verdammt schwierig, aber lass dich vom Versuch nicht abhalten.
"Muss ich zu jedem Tier ein Formular ausfüllen?"
Ja, sicher, einzureichen mit Passkopie inklusive Transitvisum, Farbfoto, Einladungsschreiben, konsularischer Legalisierung, und alles bitte in dreifacher Ausfertigung.
Und zum Ende mein Favorit:
"Muss die Mücke eingefroren bleiben?"
Sicher, Liebchen. Versand bitte nur per Kühltransporter.
Die Logik ist tot. Lang lebe der Wahnsinn!